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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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vergnüglichsten Lektionen des Ewha-Sprachprogramms. Ich musste
     Sätze sagen wie: »Ich möchte dir einen Freund vorstellen. Er ist extrovertiert und gesellig – und er sieht sehr gut aus. Er
     ist groß und schlank und hat hellbraune Haare und blaue Augen. Er hat ein bisschen Ähnlichkeit mit Leonardo Di Caprio.« Der
     Vergleich mit einem Hollywoodstar war unumgänglich, denn Koreaner lieben es, Ausländer mit Hollywoodstars zu vergleichen –
     auch wenn die Ähnlichkeit nicht groß und in manchen Fällen gar nicht vorhanden ist.
    Die Sprachübung über Blind Dates klang zwar etwas lächerlich, war aber in der Realität durchaus anwendbar. Ich wurde ab und
     zu von Koreanerinnen gefragt, ob ich ihnen nicht einen meiner ausländischen Freunde oder einen koreanischen Freund von Joe
     vorstellen könnte. Die Studentinnen der Ewha-Universität haben den Ruf, die höchste Frequenz an Blind Dates aller koreanischer
     Studentinnen zu haben. Vielleicht liegt die Ausgehbereitschaft der Ewha-Studentinnen daran, dass sie sich in dem weiblichen
     Universum des Ewha-Campus langweilen und außerhalb der Vorlesungen Kontakt zu Männern suchen. Die fleißige Partnersuche lohnt
     sich offenbar, denn die Universität wirbt damit, dass kurze Zeit nach dem Studienabschluss 95   Prozent der Absolventinnen verheiratet sind. So fragwürdig |52| diese Werbung für eine Universität sein mag, so sehr unterstreicht diese Zahl dennoch, wie wichtig es in der koreanischen
     Gesellschaft ist, möglichst bald zu heiraten.
    Der Druck auf Singles Ende zwanzig ist hoch – und der Druck verstärkt sich mit jedem zusätzlichen Lebensjahr. Ein Geburtstag
     ist kein freudiges Ereignis mehr, wenn man weiß, dass man nicht nur Geschenke, sondern auch die ewig gleiche Litanei der Eltern
     zu erwarten hat, die unmissverständlich klarmachen, dass sie mit einer baldigen Hochzeit rechnen. Neben Sogaeting und Meeting
     gibt es in Korea noch eine dritte Form des Blind Dates: das Blind Date mit Heiratsabsicht. Diese Verabredungen werden in der
     Regel von Eltern arrangiert, die langsam die Geduld mit ihrem Nachwuchs verlieren. Zunächst wird im Freundeskreis versucht,
     ungefähr gleichaltrige Söhne und Töchter zu verkuppeln. Erweist sich diese Suche als erfolglos, schalten die Eltern manchmal
     professionelle Heiratsvermittler ein.
    Bei Blind Dates mit Heiratsabsicht wird das unverfängliche Geplänkel schnell konkret. Wer sich darauf eingelassen hat, steht
     bereits unter so großem familiären Druck, dass es schon längst nicht mehr darum geht, den Traummann oder die Traumfrau zu
     finden, sondern einen akzeptablen Partner, der einen stabilen finanziellen Hintergrund und die baldige Aussicht auf Nachwuchs
     garantieren kann. Der ideale Ablaufplan dieser Verkupplungsaktionen sieht die Verlobung zirka drei Monate nach der ersten
     Verabredung und die Hochzeit rund ein Jahr nach dem ersten Treffen vor. Den ersten Hochzeitstag sollte das junge Paar dann
     möglichst schon zusammen mit einem gemeinsamen Kind feiern.
    Vor allem Eltern einer Tochter über dreißig versuchen alles, um ihr Kind schnellstmöglich unter die Haube zu bringen. Wie
     weit koreanische Eltern zu gehen bereit sind, erfuhr ich von einer deutschen Freundin, die an einem Austauschprogramm zwischen
     der TU Berlin und der Universität von Busan |53| teilgenommen hatte. Als sie auf dem Rückweg nach Berlin ein paar Tage in Seoul Station machte, traf ich sie in einer indisch
     inspirierten Bar im Künstler- und Studentenviertel Hongdae. Irgendwann im Laufe des Abends erzählte sie mir die Geschichte
     eines T U-Studenten aus Berlin, der das gleiche Austauschprogramm ein Jahr vor ihr absolviert hatte.
    Besagter Student hatte eine koreanische Freundin, mit der er – als sie in Berlin studierte – zusammenlebte. Das junge Paar
     kam im Sommer für zwei Wochen nach Busan, um die Familie zu besuchen. Der junge Deutsche sollte zum ersten Mal der Familie
     seiner Freundin begegnen und war verständlicherweise nervös. Als er in Busan ankam, wusste er allerdings noch nicht, was auf
     ihn zukam. Die Familie seiner Freundin hatte bereits eine Hochzeitsfeier vorbereitet, die Einladungen waren verschickt und
     das junge Paar wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Obwohl vorher von Hochzeit nie die Rede gewesen war, setzten die Eltern
     ihre Tochter und den potenziellen Schwiegersohn so massiv unter Druck, dass Widerstand zwecklos war. Da der junge Mann der
     koreanischen Sprache nicht mächtig

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