Schlaflos in Seoul
Elitehochschulen besuchen – oder zumindest eine Universität wie die Ewha, die zu den zehn Besten des Landes
gehört.
Diese Prüfungshölle geht an vielen nicht spurlos vorüber. Das sture Pauken für Tests, in denen ausschließlich Fakten abgefragt
werden, verleidet vielen Koreanern ihre Teenagerjahre. Einige wenige rebellieren offen und stürzen, statt zu lernen, Abend
für Abend in einer der unzähligen Bars ab. Die meisten beugen sich dem Druck, weil ihnen permanent suggeriert wird, dass ihr
Leben keinen Sinn mehr macht, wenn sie nicht an einer guten Universität unterkommen. Eine nicht unerhebliche Zahl junger Koreaner
nimmt die angedrohten düsteren |46| Zukunftsperspektiven wörtlich. Versagensängste enden in manchen Fällen im Selbstmord.
Für diejenigen, die sich stoisch durch die Prüfungszeit hindurchgebissen haben, beginnt mit dem Eintritt in die Universität
eine neue Lebensphase. – Eine Lebensphase, in der trotz langer Tage in der Bibliothek auch feuchtfröhliche Feiern der Studentenverbindungen,
Blind Dates und ein kleines bisschen Freiheit möglich sind.
|47| Blind Date als Volkssport
Manchmal lassen sich durch banale Hollywood-Komödien ungeahnte Erkenntnisse gewinnen. Ich sah mit Joe ›50 erste Dates‹ auf
DVD an – ein lustiger, aber keineswegs außergewöhnlicher Film mit Drew Barrymore und Adam Sandler. In einer Szene spricht
Henry Lucy an, als sie in einem Café frühstückt. »Genau deswegen habt ihr es im Westen leichter«, sagte Joe.
»Wie meinst du das?« Die gedankliche Verbindung war mir unklar.
»Ihr könnt einfach jemanden, an dem ihr interessiert seid, in einem Café ansprechen. Wir können das nicht. In Korea läuft
alles über diese blöden Blind Dates.«
Meine Neugier war geweckt. »Wieso? Sind Blind Dates langweilig?« Ich war noch nie auf einem gewesen und konnte mir schwer
vorstellen, wie so etwas ablief.
»Normalerweise wird der Kontakt über Freunde hergestellt, die Verabredungen arrangieren, wenn sie denken, es passt. Manchmal
habe ich auch meine Freunde gefragt, ob sie nicht ein Mädchen kennen, das sie mir vorstellen könnten.«
»Warst du auf vielen Blind Dates?« Ich war gleichzeitig interessiert und pikiert – interessiert, weil ich merkte, dass ich
einem mir bisher unbekannten kulturellen Phänomen auf der Spur war, pikiert, weil ich nicht sicher war, ob ich wirklich so
viel über Joes Damenbekanntschaften hören wollte.
»Ab und zu – in dem Jahr, bevor ich dich kennengelernt habe.«
»Wie läuft das ab?«
|48| »Wie soll das schon ablaufen. Man trifft sich irgendwo. Oft in italienischen Restaurants, weil das gerade in ist. Das Restaurant
sollte einigermaßen schick sein, nicht zu billig, nicht zu romantisch, weil es ja die erste Verabredung ist. Zuerst stellt
man sich vor. Man sagt, wie alt man ist, auf welche Schulen und Unis man gegangen ist. Dann spricht man über gemeinsame Freunde
und wenn man Glück hat, findet man danach irgendein Thema, über das man sich unterhalten kann. Wir nennen Blind Dates ›Sogaeting‹.
Sogae bedeutet ›sich vorstellen‹ und -ting kommt von ›Meeting‹.«
»Meeting? Wie ein Geschäftstreffen?«
»Nein. Wir nennen auch Gruppenverabredungen ›Meeting‹. Also wenn sich zum Beispiel vier Jungs und vier Mädchen, zusammen zu
einem Blind Date treffen.«
Ich erinnerte mich, dass ich in einem koreanischen Film so ein »Meeting« gesehen hatte – nur kannte ich damals die Bezeichnung
noch nicht. In dem Film wurden per Los Paare gebildet, die dann ein bisschen Zeit alleine verbringen konnten. Ich fragte Joe,
ob das stimmte.
»Ja, manchmal macht man das so. Manchmal bleibt man aber auch den ganzen Abend in der Gruppe.«
»Was war das schlimmste Meeting oder Sogaeting, das du jemals hattest?«
»Einmal hatte ich eine Verabredung mit einem Mädchen, das den ganzen Abend nur von seinem Make-up sprach. So eine dumme Gans!
Sie erzählte mir, welche Produkte sie am liebsten benutzte und ich konnte den ganzen Abend nur gelangweilt nicken und warten,
bis sie nach Hause gehen wollte.«
Ich lachte.
»Danach habe ich mir geschworen, nie wieder auf ein Blind Date zu gehen. Das ist reine Geld- und Zeitverschwendung. In Korea
sind Blind Dates für Männer immer ein schlechtes Geschäft. Wir teilen ja nie die Rechnung, die Mädchen lassen sich einladen.
Am Ende des Abends begleicht man dann eine |49| hohe Rechnung und das Mädchen sieht man meist sowieso kein zweites
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