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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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abgelehnt wird, überrascht die
     Heftigkeit dieser Reaktion. Die Diskussion über Hundefleisch ist längst keine kulinarische Streitfrage mehr, sondern ein Politikum.
     »Es muss endlich Schluss damit sein, dass uns der Westen auch noch beim Essen die Regeln vorschreibt und uns als Barbaren
     verunglimpft«, schrieben koreanische Gastronomen an Brigitte Bardot und entlarvten damit ungewollt den Kern des Problems –
     denn es geht eigentlich um das angekratzte kollektive Selbstbewusstsein eines Landes, das sich im gesellschaftlichen Umbruch
     befindet.
    Mit Koreanern über Hundefleisch zu diskutieren, hat keinen Sinn, denn diese Diskussionen enden immer im Streit – egal welche
     Position der ausländische Gast einnimmt. Selbst Ausländer, die sich öffentlich wesentlich diplomatischer als Brigitte Bardot
     und in manchen Fällen sogar positiv geäußert haben, mussten von der koreanischen Öffentlichkeit derart hasserfüllte Bemerkungen
     einstecken, dass sie es nie wieder wagten, zu diesen oder ähnlichen Fragen den Mund zu öffnen. Auch im privaten Kreis ist
     es nicht ratsam, das Thema anzuschneiden, denn für eine überwältigende Mehrheit der Koreaner ist Hundefleisch ein Reizthema.
    Ärgerlicherweise fangen Koreaner oft im Gespräch mit westlichen Ausländern an, über Hundefleisch zu reden und versuchen, den
     ausländischen Gast zu provozieren. Es empfiehlt sich in jedem Fall kurz, aber bestimmt zu antworten und die Diskussion zu
     umgehen. Gerade weil die Streitfrage |71| hochemotional diskutiert wird und mit anderen sensiblen Themen wie kulturelle Dominanz, Nationalismus, Tradition und Moderne
     verknüpft ist, lässt sich ein sachlich befriedigender Abschluss des Gesprächs ohnehin nicht erwarten.
    Da die meisten Koreaner sehr viel Toleranz für die eigene Esskultur einfordern, für die Essgewohnheiten ausländischer Besucher
     aber wenig Verständnis haben, wird selbst ein Abendessen unter Freunden zum Spießrutenlauf – und nicht nur für Vegetarier.
     Auch Ausländer, die bestimmte religiöse Speisevorschriften einhalten, Allergiker, Diabetiker und alle, die eine Abneigung
     gegen irgendein bestimmtes Nahrungsmittel haben, werden in koreanischen Restaurants verzweifeln. Beim Essen nicht wählerisch
     zu sein, gilt in Korea als Tugend. Als Erklärung dienen oft die langen Jahre quälenden Hungers, den viele nach dem Koreakrieg
     litten und der einen wählerischen Umgang mit Essen unmöglich machte. Doch Südkorea ist nicht das einzige Land auf der Welt,
     in dem einmal Krieg und Hunger herrschten, aber eines der wenigen, in denen derart erbitterte Streitgespräche über Essen auf
     der Tagesordnung stehen.
    Ausländern bleibt nur die Möglichkeit, stur an den eigenen Essgewohnheiten festzuhalten und gehässige Bemerkungen zu »überhören«.
     Einige wenige Koreaner, die selbst jahrelang im Ausland gelebt haben und das Gefühl kennen, fremd und andersartig zu sein,
     zeigen eher Verständnis. Zwei Mal wurde ich in buddhistische Restaurants zum vegetarischen Essen eingeladen, obwohl meine
     Gastgeber selbst vermutlich lieber Fleisch gegessen hätten. Einmal kochte die Mutter einer koreanischen Freundin ein fleischloses
     Glasnudelgericht für mich – und weil ich zu dieser Zeit schon an gehässige Bemerkungen und den zermürbenden Kampf am Esstisch
     gewöhnt war, freute ich mich über die Glasnudeln mit Gemüse mehr als über jedes Geschenk.

|72| Mitbewohner und anderes Getier
    »Hast du schon die Neuigkeiten über unser Haus gehört?«, fragte mich Sheila, kaum hatte ich einen Fuß in die Tür gesetzt.
     Es stellte sich heraus, dass unser Haus, ein altes und längst renovierungsbedürftiges Gebäude, innerhalb von zwei Wochen abgerissen
     werden sollte.
    In Korea werden ständig alte Gebäude abgerissen und neue aufgebaut – und das in einer Geschwindigkeit, die gleichzeitig beeindruckend
     und erschreckend ist. Allerdings gibt es selbst in Korea Baubehörden, die vor Baubeginn konsultiert werden müssen. Unsere
     Vermieterin plante den Hausabriss und den Neubau vermutlich schon seit Monaten, informierte uns aber absichtlich erst so spät.
    Unser Handlungsspielraum war eingeschränkt. Es war Mitte März, das neue Semester hatte gerade angefangen und alle guten Zimmer
     im Univiertel Sinchon waren vermietet. Sheila und ich hatten beide große, komfortable Zimmer, die relativ billig waren, und
     wahrscheinlich vermutete unsere Vermieterin, dass Sheila und ich als westliche Ausländerinnen mehr Geld

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