Schlaflos in Seoul
hatten als die koreanischen
und japanischen Studenten, die sonst bei ihr wohnten. Die Zimmer in ihren anderen Häusern, die sie uns zeigte, waren nämlich
wesentlich teurer als unsere bisherigen. Eines hatte zwar ein eigenes Bad und eine eigene Kochecke, war aber sehr klein, spartanisch
eingerichtet und nicht einmal richtig sauber. Eine Wäscheleine war über dem Bett aufgespannt und ich malte mir schon aus,
wie ich im Bett sitzen würde – eine andere Sitzgelegenheit gab es |73| nicht – und mir Wasser von der nassen Wäsche auf den Kopf tropfte.
Die anderen Häuser waren alle typische Studentenpensionen mit Ajummas, die auf die strenge Einhaltung der Hausregeln achteten.
In den meisten Studentenpensionen müssen Besucher nach 22 Uhr das Haus verlassen. Theoretisch galt diese Regelung auch für unser altes Haus. Da wir aber alleine, ohne die permanente
Präsenz einer Ajumma, lebten, herrschte bei uns ein reges Kommen und Gehen. Wir hatten alle Freiheiten, die wir auch in einer
westlichen Großstadt-WG gehabt hätten, und waren nicht bereit, sie so schnell aufzugeben.
»Es kann doch nicht legal sein, dass sie uns erst zwei Wochen vor Abriss des Hauses Bescheid gibt«, sagte ich zu Sheila. Das
Problem war nur, dass wir nie einen richtigen Mietvertrag unterschrieben hatten. Sich auf einen mündlichen Vertrag zu berufen,
bringt in jedem Land Schwierigkeiten mit sich und so waren wir der Willkür ausgesetzt, unter der Ausländer in vielen Ländern
der Welt leiden, die sich nicht mit Recht und Gesetz ihres Gastlandes auskennen.
Es blieb uns schließlich nichts anderes übrig, als stundenlang im Internet nach freien Wohnungen oder W G-Zimmern zu recherchieren und kreuz und quer durch die Stadt zu fahren, um Wohnungen anzuschauen. Einmal gingen wir zu einem Besichtigungstermin
für Einzimmerwohnungen in der Nähe der Ewha-Universität. Das Haus lag gegenüber eines Etablissements, das verdächtig nach
Strip Club aussah, und war so schmutzig, dass wir es eigentlich gar nicht betreten wollten. Aus Höflichkeit hielten wir trotzdem
den vereinbarten Termin ein. Das schmuddelige Äußere des Hauses wurde vom Innenbereich noch bei Weitem übertroffen. Miss Kim,
eine Angestellte der Hausverwaltung, führte uns über ein wackeliges Treppenhaus in den dritten Stock. Auf dem Flur lagen Knochen,
die vermutlich von einem Hühnchen stammten, das einer der Hausbewohner gegessen hatte. Er fand es offenbar |74| völlig normal, die Knochen nicht in die Mülltonne, sondern auf den Flur zu werfen. Die Wohnung, die wir besichtigten, war
unmöbliert. So höflich wie möglich, bedankten wir uns bei Miss Kim und erklärten ihr, dass eine unmöblierte Wohnung für uns
leider nicht in Frage kam.
In den zwei Wochen hetzten wir jeden Tag von Wohnungsbesichtigung zu Wohnungsbesichtigung. Wir sahen Teppiche mit riesigen
Flecken, die aussahen, als ob in dem Zimmer ein Mord verübt worden sei, Klimaanlagen, die kurz vor der Implosion standen,
Schimmel in den Zimmerecken und erschlagene Moskitos, die noch an den Wänden klebten. In einer Studentenpension empfing uns
eine Ajumma, deren Gesicht durch ein misslungenes Lifting derart verzogen war, dass sie wie ein finsteres Wesen aus einem
Horrorfilm aussah. Kaum waren wir wieder auf der Straße, sagte Sheila: »Ich könnte nie dort wohnen. Die Ajumma ist einfach
zu gruselig.«
Die Tage vergingen. Der Hausabriss rückte näher und näher und wir hatten immer noch keine Unterkunft gefunden. Sheila entschied
sich, bei einem Freund einzuziehen, der eine große Wohnung mit einem freien Gästezimmer hatte. Freundschaft hin oder her –
er berechnete ihr denselben Preis, den sie für ein Zimmer in einer überteuerten Studentenpension bezahlt hätte, obwohl er
selbst die Wohnung von seiner Firma kostenlos gestellt bekam. So dreist das Angebot auch sein mochte, sie ging darauf ein.
Schließlich war alles besser als auf der Straße zu sitzen.
Mich ergriff die Panik. Sogar die schmuddeligen Zimmer, die ich zusammen mit Sheila besichtigt hatte, waren inzwischen vergeben.
Ich suchte weiter und beschloss, das erstbeste zu nehmen, um wenigstens vorübergehend irgendwo unterzukommen. Im Nieselregen
spazierte ich durch das Studentenviertel Sinchon, ging in jede Pension und fragte nach freien Zimmern. Alles war ausgebucht.
Ich wanderte durch Straßenzüge voller Kneipen, Karaokebars und Game Rooms, in denen |75| man alle Arten von Computerspielen spielen
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