Schlaflos in Seoul
war doppelt so hoch wie in Berlin, obwohl meine
Berliner Wohnung um einiges größer gewesen war als meine neue Behausung.
Die hohen Mietpreise in Seoul sind eine Plage, unter der Ausländer wie Einheimische gleichermaßen leiden. Im weltweiten Vergleich
belegt Seoul – hinter Tokio und London – den dritten Platz, was die Höhe der Miete anbelangt. So ärgerlich die hohen Mietpreise
in Seoul auch sein mögen, sie sind immer ein gutes Small-Talk-Thema. Als Ausländer findet man sich manchmal in Situationen
wieder, in denen man sich mit unbekannten Koreanern unterhalten muss, einfach weil es unhöflich wäre, stur vor sich hin zu
schweigen. Wenn man keinerlei gemeinsame Interessen und auch keinen anderen Aufhänger für eine kurze Unterhaltung hat, bieten
sich die hohen Mietpreise als Thema an. So wie man sich in Europa über das Wetter unterhält, kann man in Korea über die Mietpreise
plaudern. Solche Unterhaltungen sind eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen man Koreaner über ihr Land schimpfen hört.
Die meisten Koreaner tragen einen selbstgefälligen Nationalstolz vor sich her und sind absolut davon überzeugt, dass ihr Land
über jede Kritik erhaben ist. Die einzigen Makel, die sie bereitwillig zugeben, sind die hohen Mietpreise und die Luftverschmutzung
– vermutlich weil beides messbar und statistisch zu belegen ist.
Ich machte es mir in meiner teuren, neuen Wohnung bequem. Nach mehreren Monaten W G-Leben und der Livingtel-Erfahrung |78| war ich froh, wieder komfortabel und alleine zu leben. All meine Gewohnheiten, die ich in meiner Berliner Einzimmerwohnung
gepflegt hatte, nahm ich wieder auf – samstags erst gegen Mittag aufzustehen und den ganzen Tag lang zu faulenzen, Schlammmasken,
Haarkuren, Süßigkeiten- und Schnapsvorräte im Kühlschrank, kleine Merkzettelchen, die ich überall im Haus verteilte, und die
mir halfen mich an Termine, nötige Einkäufe und Koreanischvokabeln zu erinnern. Ich genoss es, mich unbeobachtet und frei
zu fühlen.
Eines Tages saß ich an meinem Schreibtisch und schrieb an einem Artikel über den internationalen Flughafen von Seoul, den
ich nach Deutschland schicken wollte, als mir auffiel, dass ich doch nicht alleine lebte. Ich hatte Mitbewohner – aber Mitbewohner
ganz besonderer Art. Meine Wohnung war, so teuer sie auch sein mochte, nicht besonders groß. Neben meinem Schreibtisch fing
schon die Küchenzeile an. Als ich gerade über verschiedene Serviceeinrichtungen des Seouler Flughafens schrieb, huschte ein
dunkelbraunes Wesen über die Rückseite meines Kühlschranks. Das Wesen hatte entfernte Ähnlichkeit mit einer deutschen Kellerassel.
Es war nur um einiges größer. Kakerlaken! Ich hatte Kakerlaken im Haus. Mir waren noch nie welche begegnet. In Berlin gab
es praktisch keine. In New York, Kamerun und China, wo ich jeweils mehrere Monate verbracht hatte, gabeswelche, aber ich hatte
sie nie zu Gesicht bekommen. Ich nahm ein Papiertaschentuch, fing das dunkelbraune Wesen ein, warf es zum Fenster hinaus und
hoffte, es würde bei der nervtötenden Nachbarin landen, die oft um sechs Uhr morgens in aller Lautstärke Telefongespräche
führte. Mir war allerdings klar, dass Kakerlaken nicht alleine leben und dass es dort, wo das eine Tier hergekommen war, sicher
noch Hunderte gab. Erst einmal unternahm ich nichts. Die vereinzelt auftretenden Tierchen, fing ich – wie das erste – ein
und warf sie zur Tür oder zum Fenster hinaus. Ich dachte, es sei möglich, in friedlicher Koexistenz mit Kakerlaken zu leben.
|79| Die Kakerlaken waren aber offenbar anderer Ansicht, denn sie versuchten, meine Wohnung zu okkupieren. Einmal als ich spätnachts
nach Hause kam und das Licht einschaltete, verschwand eine Karawane von zehn Kakerlaken hinter meiner Kommode. Es wurde Sommer
in Seoul und das feuchtheiße Klima führte zu einer explosionsartigen Vermehrung der Kakerlaken in meiner Wohnung.
Die Kakerlakenplage wurde irgendwann so groß, dass ich sie vor Joe nicht mehr geheim halten konnte. Er stieß einen spitzen
Schrei aus, als er fünf Kakerlaken in meinem Spülbecken fand, die dort offenbar nach Essensresten suchten. »Du kannst in der
Wohnung nicht bleiben«, sagte er. Meine relativ gelassene Haltung war ihm genauso suspekt wie meine Tierliebe, die auch die
meisten meiner Freunde für völlig übertrieben hielten. Ausgehungerte Straßenkatzen, die sich vor meinem Haus herumtrieben,
fütterte ich, Insekten in
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