Schlaflos in Seoul
einen Termin mit ihr aus.
|118| Ich vermutete, dass man mit mir einen Kameratest machen wollte, und überlegte hin und her, was ich anziehen sollte. Letztendlich
entschied ich mich für einen Jeans-Minirock, ein grüngestreiftes T-Shirt mit grüner Schleife an der linken Schulter und grüne Schuhe. Ich legte mir auch ein paar Standardsätze zurecht, um auf eventuelle
Fragen vorbereitet zu sein.
Als ich im Studio ankam, schien aber niemand so recht Zeit für mich zu haben. Ich rief das Mädchen, mit dem ich gesprochen
hatte, auf ihrem Handy an. Sie sagte, ich solle warten, es werde bald jemand zu mir kommen. Schließlich nahmen sich zwei Damen
meiner an, die sich als »Autorinnen« der Sendung vorstellten. Auf einmal begriff ich, dass das phantastische Koreanisch, das
die ausländischen Mädchen in der Sendung sprachen, zum Teil echt war, zum Teil aber einfach ein vorbereiteter Dialog, der
auswendig gelernt wurde.
Im Gespräch mit den Autorinnen versuchte ich, meine zurechtgelegten Sätze anzubringen, aber sie waren eigentlich nur an meinem
Visumstatus interessiert. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gar kein Visum, weil ich mehrmals nach Deutschland gereist und wieder
zurückgekommen war und E U-Bürger neunzig Tage visumfrei in Südkorea bleiben dürfen. Die Autorinnen waren entsetzt: »Aber du musst doch ein Studentenvisum
haben!« Ich versuchte zu erklären, dass man das Sprachstudium auch ohne Visum machen kann, aber ich war mir nicht sicher,
ob sie meine Erklärung verstanden. Sie sagten schließlich: »Melde dich bei uns, wenn du ein Visum hast.« Dann verschwanden
sie und ich war mir selbst überlassen. Ich sah mir an, wie die Sendung aufgezeichnet wurde, wobei ich nur begriff, dass es
um Wahrsager in Korea ging, weiter konnte ich der Diskussion nicht folgen. Niemand kümmerte sich mehr um mich, und als die
Aufzeichnung beendet war, ging ich einfach nach Hause.
Es dauerte Wochen, bis ich mein Visum bekam. Ich musste mich an der Ewha für weitere sechs Monate einschreiben, nachweisen,
dass ich über die finanziellen Mittel für meinen |119| Unterhalt verfügte, Joe musste für mich bürgen und schließlich musste ich mich noch als in Korea lebende Ausländerin registrieren
lassen. Nachdem ich meinen Pass mit dem Visum und meine Ausländerregistrierungskarte bekommen hatte, meldete ich mich wieder
bei KBS und wurde zu einem weiteren Gesprächstermin eingeladen.
Wieder überlegte ich, was ich anziehen sollte, weil ich der Meinung war, meinen persönlichen Stil zeigen zu müssen. Ich entschied
mich für enge Jeans, eine buntgestreifte Babydoll-Bluse, ein schwarzes Jackett und lange schwarze Ohrringe. Am Abend vor dem
Termin legte ich mir die Kleider schon zurecht.
Es war Ende Oktober und schon ziemlich kalt. Auch die Moskitos in Seoul fanden es offenbar zu dieser Jahreszeit zu kalt im
Freien, denn sie versuchten, in den Häusern zu überleben. Schon mehrmals war ich nachts von surrenden Moskitos geweckt worden.
In dieser Nacht war es kein Geräusch, das mich weckte, sondern ein merkwürdiges Gefühl an meiner Lippe – ein Moskito hatte
mich in die Lippe gestochen! Ich stand auf und ging ins Badezimmer. Im Spiegel blickte mir ein völlig fremdes Gesicht entgegen.
Meine Oberlippe war stark geschwollen. Es war Scarlett Johanssons Mund in meinem Gesicht. Nur leider passten diese wulstigen
Lippen überhaupt nicht zu mir. Ich sah aus, als hätte ich eine misslungene Kollagenunterspritzung hinter mir.
Im Kühlschrank fand ich eine kühlende Gelmaske, die aber nicht viel half. Morgens hatte ich immer noch eine überdimensionale
Oberlippe. In Korea ist es durchaus üblich, dass sich Starlets für ihre Karriere Schönheitsoperationen unterziehen, aber wenn
ich den Eindruck einer missglückten Schönheitsoperation vermittelte, würde das bei KBS vielleicht doch das falsche Signal
geben. Ich sah aus wie jemand, der verzweifelt versucht, ins Fernsehen zu kommen!
Ich überlegte, ob ich einfach zu Hause bleiben und den Termin bei KBS absagen sollte. Das erschien mir aber dann doch |120| kindisch, und so riss ich mich zusammen, zog mein sorgfältig ausgewähltes Outfit an und hoffte, niemand würde meine dicke
Lippe bemerken. Während des Koreanischunterrichts am Vormittag schien die Schwellung langsam zurückzugehen.
Als ich um 15 Uhr bei KBS ankam, sah ich beinahe normal aus. Die Autorinnen, die ich im Sommer kennengelernt hatte, waren wieder da. Dieses
Mal befragten
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