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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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keine Abendkleider, sondern ziemlich langweilige Ensembles, die eher nach Sekretärinnengarderobe
     aussahen. Ich ging zu der Stylistin in den Umkleideraum und sah mir an, was auf der Kleiderstange hing. Ich entdeckte ein
     rotes Strickkleid, das ganz passabel aussah. »Das rote Kleid, bitte«, sagte ich. Ich wurde sofort zurechtgewiesen: »Hier sucht
     niemand seine Kleider selbst aus!« Die Stylistin gab mir eine schwarze Hose, die mir zu groß war, ein schlichtes weißes Hemd
     und ein langweiliges hellblaues Kordjackett mit einem Phantasie-Emblem auf der Brust, das es wie eine Schuluniform aussehen
     ließ. Ich hatte keine andere Wahl – ich musste die zugeteilten Kleider anziehen. Das Jackett war zu weit und wurde mit Sicherheitsnadeln
     abgesteckt, um es enger zu machen. Die Nadeln halfen aber nicht viel. Ich sah aus wie ein 1 4-jähriger britischer Schuljunge mit Transvestiten-Make-up.
    Gegen 13   Uhr trafen wir den Moderator zu einer Besprechung. Wir gingen das Skript mit dem vorbereiteten Dialog kurz durch. Ich versuchte,
     mir meine Dialogzeilen einzuprägen und hörte nicht genau zu, was sonst noch gesagt wurde. |123| Dann wurden wir auch schon ins Studio geschickt, wo wir Mikrofone bekamen und uns die Plätze zugeteilt wurden. Es war surreal,
     auf einmal in der Kulisse zu sitzen, die ich im Fernsehen so oft gesehen hatte. Die anderen Mädchen sprachen mir Mut zu –
     und schon ging es los. Zu meinem größten Entsetzen wurde aber nicht über koreanische Touristen gesprochen, sondern über ganz
     andere Themen – über koreanische Unterwäsche in winzigen Größen, in die die meisten Ausländerinnen nicht hineinpassen, über
     Geldanlage in Form von Aktien und Fonds, über Krankenversicherungen, über öffentliche Badehäuser   … Die Themen schienen nicht so recht zusammenzupassen und ich vermutete, dass ich in der Besprechung irgendetwas nicht mitbekommen
     hatte.
    Irgendwie stotterte ich mich durch die Sendung und als ich sie später im Fernsehen sah, fand ich, dass ich aussah wie ein
     erschrockenes Reh im Scheinwerferlicht. Ich war ein bisschen enttäuscht von mir selbst und hoffte, dass nicht so viele Leute
     die Sendung gesehen hatten. Aber ich täuschte mich. Als ich am nächsten Tag im Supermarkt einkaufte, sagte die Kassiererin:
     »Sie waren doch gestern im Fernsehen.« Ich nickte und beeilte mich, den Laden zu verlassen.
    Mein Freund Laurent, der im französischen Kulturinstitut arbeitete, schickte mir eine E-Mail mit Links zu Einträgen über mich im Internet. Ich stellte fest, dass ich in die koreanische Version von Wikipedia aufgenommen
     worden war und dass mehrere Internetzeitungen Artikel über mich veröffentlicht hatten – alle mit einem Bild von mir in dem
     scheußlichen hellblauen Kordjackett. Unter den Artikeln hatten Leser Kommentare hinterlassen. Einige waren freundlich: »Ganz
     süß!« »Wirkt sympathisch.« Der Großteil war aber sehr negativ: »Tauscht sie sofort wieder aus!« »Langweilig!« »Was ist das
     für eine hässliche deutsche Ajumma?« »Die Kurzhaarfrisur ist furchtbar. Sie soll sich erst mal die Haare wachsen lassen und
     in ein paar Monaten wiederkommen.« »Sie sieht aus wie eine   …« Ich kannte das |124| letzte Wort nicht und konnte es auch in keinem Wörterbuch finden. Als ich Joe danach fragte, weigerte er sich, mir das Wort
     zu übersetzen. Vermutlich war es ein umgangssprachlicher Ausdruck für »Lesbe«.
    Im Internet wurden mein Äußeres und meine Persönlichkeit bis ins letzte Detail diskutiert: Meine Haare waren zu kurz, meine
     Zähne zu lang, ich war zu klein, zu dünn, zu gebildet, manche sagten, ich sehe alt aus, andere fanden, ich sehe wie ein Teenager
     aus. Über meine ethnische Herkunft wurde gerätselt, viele Internetnutzer monierten mein »überhaupt nicht deutsches Aussehen«.
     Ich war entsetzt. In Korea gibt es seit Jahren Probleme mit aggressiven Internetnutzern, die durch immer wiederkehrende gehässige
     Kommentare sogar mehrere junge Popsängerinnen in den Selbstmord getrieben haben. Es gab eine Initiative für mehr Respekt im
     Internet, aber sie schien nicht viel zu helfen.
    Am Telefon erzählte ich meinem Vater, wie gemein die Fans dieser Talkshow waren und wie beleidigt ich mich fühlte. Mein Vater
     sagte nur: »Wer sich zu den Hunden legt, muss sich über Flöhe nicht wundern.« Er hatte recht – ich hatte mich auf eine Unterhaltungsshow
     eingelassen, ich hatte einen Vertrag mit dem Sender unterschrieben und wurde

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