Schlaflos in Seoul
dafür bezahlt, mich im Fernsehen zu produzieren.
Also musste ich auch mit gehässigen Kommentaren fertig werden.
Als ich das nächste Mal mit einer der Autorinnen sprach, sagte ich: »Nur weil ich kurze Haare habe, heißt das nicht, dass
ich aussehen möchte wie ein kleiner Junge. Kann ich beim nächsten Mal ein Kleid bekommen?« Sie versprach, mit der Stylistin
zu reden. In der nächsten Sendung sollten wir uns über das Wetter in Korea unterhalten. Ich erwähnte, dass ich an Regentagen
Gummistiefel trug, weil sich auf den unebenen Straßen von Seoul immer riesige Pfützen bilden und ich mir schon einige Schuhe
ruiniert hatte. In Korea tragen nur kleine Kinder Gummistiefel. Meine koreanischen Freunde amüsierten |125| sich jedes Mal über mich, wenn sie mich so sahen. Ich wusste, dass die Gummistiefel ein sicherer Gag waren und fragte die
Autorin, ob ich sie in der Sendung vorführen dürfe. Sie war sich nicht ganz schlüssig, sagte aber trotzdem Ja.
Als ich das nächste Mal ins Fernsehstudio kam, sagte ich der Visagistin: »Bitte keinen Concealer auf meine Leberflecke!« Sie
hielt sich daran. Ich bat sie auch, meine Haare glatt zu lassen. Dieses Mal hatte die Stylistin tatsächlich Abendgarderobe
für uns ausgewählt. Ich bekam einen halblangen cremefarbenen Rock, ein paillettenbesetztes Chiffonoberteil in der gleichen
Farbe und eine überdimensionale Halskette. »Dieses Mal siehst du nicht aus wie ein kleiner Junge, oder?«, fragte die Stylistin
süffisant. Ich versicherte ihr, ich sei mit den Kleidern zufrieden. Das cremefarbene Abendoutfit hätte ich mir vermutlich
nicht gekauft, aber im Vergleich zu der abscheulichen Schuluniform war es durchaus ein Fortschritt.
Als wir in der Sendung über das Wetter sprachen, holte ich meine Gummistiefel hervor und zog sie an. Die Kombination von Gummistiefeln
und Abendkleid sah lustig aus. Ich alberte mit dem Moderator herum und hatte dieses Mal die Lacher auf meiner Seite. Für einige
Wochen war ich im koreanischen Internet das »Rainboots Girl«, und von da an wusste ich, wie Showbusiness funktioniert.
|126| Hallyu – die koreanische Welle
Fragt man westliche Ausländer, warum sie nach Korea gekommen sind, bekommt man meist vage Antworten oder verworrene Geschichten
zu hören. Die Antwort vieler asiatischer Ausländer auf die gleiche Frage ist jedoch eindeutig: »Ich bin ein Fan koreanischer
Fernsehserien« oder »Ich mag koreanische Musik«. Viele Fans aus anderen Ländern kommen nach Korea, um die Originalschauplätze
ihrer Lieblingsserien zu besichtigen. Manche nehmen Koreanischunterricht, nur um die Liedtexte ihrer Lieblingsbands verstehen
zu können. Andere streben selbst eine Karriere in der koreanischen Unterhaltungsindustrie an, die – wie »Die tratschenden
Schönheiten« beweisen – durchaus an Ausländern interessiert ist.
Dieses Phänomen nennt man »Hallyu« – die koreanische Welle. Ich dachte bei dem Wort immer an die »nouvelle vague«, die »neue
Welle«, die in den 1950er und 60er Jahren das französische und damit auch gleichzeitig das europäische Kino revolutionierte.
Die koreanische Welle ist jedoch keine Revolution der Avantgarde. In der Regel handelt es sich bei den koreanischen Popkulturexporten
um Seifenopern, Popmusik und Filme mehr oder weniger komödiantischen Inhalts. Das Wort Welle steht eher für das plötzlich
sprunghaft gestiegene Interesse an koreanischer Popkultur in anderen asiatischen Ländern – allen voran Japan, China und Vietnam
– seit den 1990er Jahren. Für Korea bedeutet dieser kulturelle Siegeszug vor allem eine Möglichkeit, sich endlich gegen die
ungeliebten Nachbarländer Japan und China zu behaupten.
|127| Bisher ist die koreanische Welle noch nicht nach Europa geschwappt. Ganz unbemerkt blieb sie jedoch nicht. Hallyu und der
koreanische Superstar Jung Ji-Hoon alias Bi oder auf Englisch Rain wurden in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ erwähnt.
Koreanische Filme – wie die des Filmemachers Kim Ki-Duk – waren in Deutschland auf der Berlinale und in den Programmkinos
durchaus erfolgreich. Bei diesen Kunstfilmen handelt es sich jedoch nicht um die typischen Hallyu-Exporte. In Korea sind beispielsweise
Kim Ki-Duks Filme nicht besonders beliebt, sondern gelten als langweilig und prätentiös.
Für die typischen Hallyu-Komödien und Seifenopern findet sich in Deutschland vermutlich kein Markt. Einerseits gibt es in
Deutschland schon ein
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