Schlaflos in Seoul
an und sagte: »Weil am
Wochenende niemand bis spätnachts arbeitet.«
Als ich nach Korea kam, war mein ursprünglicher Plan, ein paar Monate intensiven Sprachunterricht zu nehmen und dann einen
Job zu suchen. Für eine Übergangsphase machte es mir nichts aus, Englisch zu unterrichten. Langfristig schwebte mir aber keine
Karriere als Lehrerin vor. Meine Arbeitssuche gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht. Ich stellte meine Bewerbungsunterlagen
auf Englisch zusammen und zeigte sie Joe. Er war entsetzt. Ich dachte immer, es gäbe internationale Standards für Bewerbungen,
aber offenbar hatte ich mich getäuscht. Ein selbstbewusstes, gut formuliertes Anschreiben und ein Lebenslauf, der die eigenen
Qualifikationen realistisch darstellt, waren meiner Ansicht nach Stand der Dinge. Joe zeigte mir einige seiner Bewerbungen
und für mich klangen sie – so qualifiziert er auch sein mochte – nach reiner Angeberei. »Du musst der Firma doch erklären,
warum du die Beste für diese Position bist und warum sie dich einstellen müssen. Wie sollen sie es denn herausfinden, wenn
du das nicht schreibst?« Joes Erklärung hatte eine gewisse Logik. Also fing ich von vorne an.
In Berlin hatte ein talentierter junger Fotograf in Kreuzberg tolle Schwarz-Weiß-Fotos von mir gemacht, die ich normalerweise
für Bewerbungen verwendete. Auf den Bildern trug ich den obligatorischen schwarzen Rollkragenpullover, die Uniform der europäischen
Kreativszene. Da ich mich in Deutschland für Jobs in den Bereichen Kunst und Kultur beworben hatte, waren diese Fotos passend.
»Du musst auf Bewerbungsfotos immer ein Jackett tragen«, belehrte mich Joe, der sich kaum vorstellen konnte, dass jemand so
etwas Essenzielles nicht wusste. »Aber ich will mich doch nicht in einer Bank bewerben«, sagte ich. »Es ist egal, wo du dich
bewirbst. In Korea trägt man immer einen Anzug oder ein Kostüm, wenn man Bewerbungsfotos macht und auch wenn man zum Vorstellungsgespräch |112| geht.« Wehmütig dachte ich an meine schwarze Nadelstreifenhose und die zimtfarbene Kurzjacke, die ich bei meinem Vorstellungsgespräch
in der Berliner P R-Agentur getragen hatte, und an meine graue Hose und die smaragdgrüne Samtjacke, die ich trug, als ich meinen Arbeitsvertrag für den
Job im »Ort der Information« unterschrieb. Ich kaufte mir einen langweiligen dunklen Hosenanzug, zog mein konservatives neues
Outfit an, ging zum Fotografen und lächelte gequält in die Kamera. Mir gefielen die Fotos nicht, aber ich verschickte sie
trotzdem, weil ich mir dachte: in Korea muss man es wie die Koreaner machen. Ich wollte nicht, dass meine Arbeitssuche an
so oberflächlichen Dingen wie Kleidung und Foto scheiterte.
Ich schickte meine Unterlagen an deutsche und internationale Firmen und wartete auf Antworten – bekam aber keine einzige.
Joe sagte, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, müsse eben der Berg zum Propheten gehen. Ich bereitete mich sorgfältig vor,
zog meinen langweiligen dunklen Hosenanzug an und machte mich auf den Weg zu den Büros von Lufthansa, British American Tobacco
– beide Unternehmen waren dafür bekannt, dass sie viele kulturelle Veranstaltungen sponserten – und zu einer P R-Agentur , die viele internationale Kunden hatte.
Bei Lufthansa kam ich aus Versehen durch den Hintereingang in die Büros und erschreckte die dort arbeitenden Angestellten
derart, dass eine junge Koreanerin zwar bereit war, meine Bewerbungsunterlagen entgegenzunehmen, mich dann aber schnell abwimmelte.
Bei British American Tobacco nahm sich eine Angestellte der Personalabteilung viel Zeit für mich, machte mir aber wenig Hoffnungen.
Offiziell sei die Arbeitssprache bei British American Tobacco zwar Englisch, aber Bewerber, die nicht fließend Koreanisch
sprächen, hätten wenig Chancen. In die Personalabteilung der P R-Agentur drang ich gar nicht erst vor. Die Rezeptionistin gab mir mit deutlichen – und selbst für koreanische Verhältnisse recht unhöflichen
– Worten zu verstehen, dass ich unerwünscht war. Kaum war |113| ich wieder zu Hause, schrieb ich eine verärgerte E-Mail an die Personalabteilung der P R-Agentur , in der ich den Vorfall schilderte und erklärte, dass eine grob-unhöfliche Rezeptionistin nicht unbedingt ein gutes Licht
auf die Firma werfe. Ich bekam natürlich keine Antwort darauf.
Nach langer Suche fand ich eine koreanische Marketingagentur, die mich einstellen wollte. Ich sollte die
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