Schlaflos in Seoul
vorneherein ab, Ausländer einzustellen, die
nicht mit Koreanern verheiratet sind – und deshalb einen anderen Status haben – oder koreanischer Abstammung sind.
Allerdings ist Bürokratie keine koreanische Eigenart. Wie viele meiner koreanischen Freunde süffisant, aber nicht ganz unrichtig
bemerkten, ist die Situation für Koreaner in Deutschland und in anderen westlichen Ländern ähnlich.
Als ich mich mit Sheila einmal über die Arbeitsmarktprobleme in Korea unterhielt, sagte sie: »In Korea hast du nur eine Chance,
wenn du etwas zu verkaufen hast, das sie interessiert.« Wir wussten beide, was das war: Fremdsprachenkenntnisse und ein weißes
Gesicht. Beides war in Korea vor allem für eine Branche interessant: das koreanische Fernsehen. Kurz nach dem Gespräch mit
Sheila wurde ich durch Zufall für eine Fernsehshow gecastet.
|116| Die tratschenden Schönheiten
Erst als ich die Kamera entdeckte, bereute ich meine Gutmütigkeit. Ich war gerade mit meiner Freundin Berangère aus dem Koreanischunterricht
gekommen, als mir in der Lobby des Ewha-Sprachzentrums zwei junge Koreanerinnen auffielen. Sie hatten ein Klemmbrett mit Papieren
bei sich und sahen so aus, als ob sie eine Umfrage machen wollten. Da ich aus eigener Erfahrung wusste, wie schwierig es ist,
Studienteilnehmer zu finden, bin ich immer sehr kooperativ.
Am Abend zuvor hatte ich mit Berangère und einigen ihrer Freunde in einer Bar mehrere Gin Tonics und Tequila Shots getrunken.
Die Nachwirkungen des Abends waren noch zu spüren – in Form von dumpfen Kopfschmerzen und leichter Begriffsstutzigkeit. Erst
als eine der beiden jungen Koreanerinnen mir erklärte, sie kämen von dem Fernsehsender KBS, entdeckte ich die Kamera und begriff,
dass ich gefilmt wurde.
Die beiden arbeiteten im Produktionsteam einer wöchentlichen Talkshow, in der junge Ausländerinnen auf Koreanisch über ihre
Erfahrungen in Korea und über kulturelle Unterschiede zwischen Korea und ihren jeweiligen Herkunftsländern erzählen. Ich hatte
die Sendung einmal gesehen und fand sie unterhaltsam. In der Sendung aufzutreten, konnte ich mir durchaus vorstellen. Nur
gab es einen Haken – ich sprach zu dem Zeitpunkt kaum Koreanisch.
Im Unterricht hatten wir vor Kurzem die grammatikalische Struktur für Vergleichssätze gelernt und so sagte ich freundlich:
»Im Vergleich zu den Mädchen in der Sendung spreche |117| ich schlecht Koreanisch.« Die beiden KB S-Mitarbeiterinnen schienen zu begreifen, dass es äußerst mühsam war, sich mit mir zu unterhalten. Sie fragten, wie lange ich noch in Korea
bleiben würde und ob ich eventuell im Sommer zur Verfügung stünde. Das Wort für »später« kannte ich nicht, so sagte ich auf
Englisch: »Ja, später.« Sie notierten meine Telefonnummer und fotografierten mich. Für mich war die Sache damit beendet.
Als ich ein paar Tage später mit Joe und seinem besten Freund zu Abend aß, kam das Gespräch auf diese Talkshow, die enorm
erfolgreich ist und zu den fünf beliebtesten Sendungen im koreanischen Fernsehen gehört. Übersetzt heißt der Titel »Die tratschenden
Schönheiten« – denn die jungen Ausländerinnen werden vor allem nach ihrem Aussehen ausgewählt. Wie sich herausstellte, war
Joes Freund ein großer Fan dieser Sendung. Um mir zu schmeicheln sagte er, ich würde perfekt in diese Sendung passen. Ich
erzählte, dass ich gerade von KBS gecastet worden war, aber wegen mangelnder Koreanischkenntnisse abgesagt hatte. Joe und
sein Freund erklärten mich für komplett verrückt, KBS sei in Korea wie die BBC in Großbritannien. Wenn man ein Angebot von
KBS bekam, konnte man es nicht einfach ablehnen. Ich sagte, dass ich den beiden jungen Koreanerinnen meine Telefonnummer gegeben
hatte und sie mich zurückrufen wollten. Joe vermutete: »Das wird nicht passieren. Die Chance hast du vertan.«
Joe hatte unrecht. Fünf Monate nach dem Casting bekam ich einen Anruf von KBS. Ich war mir nicht sicher, ob die junge Koreanerin am anderen Ende der Leitung dieselbe war, die ich an der Ewha getroffen
hatte. Sie sprach sehr schnell und ich verstand nur die Hälfte. Sie fragte mich, ob ich in der Zwischenzeit fleißig gelernt
hätte. Ich sagte: »Ja!« – was nicht einmal eine Lüge war, denn ich hatte wirklich viel gelernt. Sie fragte mich, ob ich noch
Interesse hätte und ob ich einmal ins Studio kommen wollte, um eine Aufzeichnung der Sendung anzusehen. Ich sagte wieder »Ja!«
und machte
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