Schlaflos in Seoul
Korrespondenz mit
einer Partneragentur in Singapur übernehmen und Texte auf Englisch schreiben. Ich musste von einem Tag auf den anderen anfangen,
weil das Projekt dringend war. In der Agentur gab es zwar drei Angestellte, die passabel Englisch sprachen, aber nicht in
der Lage waren, fehlerfreie Texte zu schreiben und panische Angst vor Telefonaten auf Englisch hatten. Nach einigen Monaten
in Korea war ich an die koreanische Ungeduld gewöhnt und wusste, dass »sofort« wirklich sofort bedeutete und nicht einen Monat
später. Also fing ich an zu arbeiten, unterschrieb meinen Arbeitsvertrag erst ein paar Tage später und erfuhr dann, dass er
eigentlich ungültig war, weil mein Arbeitsvisum zwar beantragt, aber noch nicht ausgestellt war. Meine Arbeit musste als unbezahltes
Praktikum deklariert werden, weil ich ohne Arbeitsvisum kein Gehalt bekommen durfte. Ich arbeitete trotzdem, denn ich wollte
den Job haben und mir war klar, dass ich ihn wieder verlieren würde, wenn ich mich dem Chef widersetzt hätte.
Nach all den Horrorgeschichten über verrückte Chefs, endlose Überstunden und Wochenendarbeit war ich überrascht, wie angenehm
die Arbeitsatmosphäre war. Da ich auf Englisch korrespondierte, konnte kaum jemand meine Arbeit kontrollieren, weil niemand
so recht verstand, was ich schrieb. Ich durfte jeden Tag um sechs Uhr gehen, weil ich abends Koreanischunterricht hatte. Als
einzige Ausländerin hatte ich Privilegien und man akzeptierte, dass ich früh ging. Nur einmal sagte einer der Vorgesetzten
süffisant, dass ich offenbar »sehr fleißig lernte« – was im Klartext bedeutete, seiner Meinung nach sollte |114| ich lieber mehr Energie auf die Arbeit und weniger auf das Sprachstudium verwenden.
Die ersten Wochen verliefen unkompliziert. Ich verstand mich gut mit den Kollegen und mein Koreanisch machte deutliche Fortschritte.
Die Zeit verging und ich hatte immer noch kein Arbeitsvisum bekommen. Die Visaregelungen in Korea sind streng. Eine Firma,
die Ausländer anstellen möchte, muss nachweisen, dass die ausländischen Arbeitskräfte wirklich benötigt werden. Sollten die
Beweise nicht ausreichen und die Einwanderungsbehörde der Ansicht sein, dass auch ein Koreaner mit Fremdsprachenkenntnissen
die gleichen Aufgaben erfüllen könnte, wird das Arbeitsvisum nicht erteilt.
Dieser Fall war bei mir eingetreten. Egal wie die Chefs der Marketingagentur argumentierten, die Behörde ließ sich nicht davon
überzeugen, dass ich gebraucht wurde. Ehrlich gesagt, war ich mir selbst manchmal nicht so sicher, ob ich in der Firma wirklich
als Arbeitskraft oder nur als Staffage angesehen wurde. In den ersten zwei Wochen hatte ich durch die Korrespondenz mit der
Agentur in Singapur viel zu tun. Nachdem das Projekt abgeschlossen war, kam es vor, dass ich den ganzen Tag nichts zu tun
hatte und verzweifelt versuchte, beschäftigt auszusehen. An manchen Tagen konnte ich mich nur fünf Minuten lang für eine E-Mail nützlich machen. Offenbar dachten auch einige meiner Vorgesetzten, ich sei unnütz, aber dekorativ und nannten mich ständig
»die schöne Vera« – was ich für ziemlich unpassend hielt.
Als der Antrag auf mein Arbeitsvisum zum dritten Mal abgewiesen wurde, verließ ich die Firma, weil klar war, dass es nie eine
legale Grundlage für meine Arbeit geben würde und ich nicht unbegrenzt unbezahlt arbeiten konnte. Ich schrieb mich wieder
als Vollzeitstudentin an der Ewha-Universität ein. Mit dem Studentenvisum durfte ich Teilzeitjobs annehmen, für die ich ein
zusätzliches Visum bekam. Manchmal arbeitete ich mehr, als ich lernte, und nach einigen Monaten war mein Pass |115| voll mit koreanischen Visa. Ich unternahm mehrere Versuche, einen Vollzeitjob zu finden. Leider sind in Korea die strengen
Visaregelungen oft nur ein Vorwand, um Arbeit suchende Ausländer auszunutzen. Zwei Monate lang machte ich nach meinem Sprachunterricht
Übersetzungsarbeiten für eine Filmproduktionsfirma. Der Chef versprach mir, er werde sich um das Visum kümmern und mich später
bezahlen. Vielleicht kannte sich in der Firma wirklich niemand mit den Visavorschriften aus und es war nur ein Versehen, aber
auch nach zwei Monaten unbezahlter Arbeit bekam ich natürlich kein Visum.
Viele koreanische Firmen machen formale Fehler beim Antrag und schon alleine deshalb wird er oft abgelehnt. Andere Firmen
wissen, wie viel Papierkram hinter einem Visumsantrag steht und lehnen es von
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