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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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heimisches Überangebot an flacher Unterhaltung, anderseits sind der deutsche und der koreanische Humor
     völlig unterschiedlich. Koreaner lachen beispielsweise gerne über Männer in Frauenkleidern. Ich fand das nie besonders komisch,
     weil ich diese Witze eher für einen Ausdruck latenter Homophobie halte. Deutsche Witze dagegen sind vielen Koreanern zu derb.
     Als ich mit Joe einmal den Film ›Herr Lehmann‹ auf DVD ansah, den ich durchaus amüsant fand, fragte er: »Wieso macht man einen
     ganzen Film über jemanden, der immer nur Bier trinkt und oft ›Scheiße‹ sagt?« Dagegen wunderte er sich über mich, als ich
     mir den koreanischen Film ›Marathon‹ über einen jungen Autisten ansah und dabei laut lachte. Ich fand die Situationskomik
     und die originellen Dialoge so witzig, dass ich mich alleine amüsierte in einem Kino voller Koreaner, die betreten schwiegen
     – sie fanden den Film traurig.
    Mehr noch als verbale Ausrutscher finden die meisten Koreaner die offene Darstellung von Nacktheit in westlichen Filmen eher
     peinlich. Filme, in denen auch nur ein Stückchen nackte Haut zu sehen ist, werden in Korea erst für Zuschauer über neunzehn
     Jahren freigegeben. Filme mit extremen Gewaltdarstellungen gelten jedoch als durchaus akzeptabel für |128| ein junges Publikum. Schon die Video-Clips, die Tag und Nacht auf MTV Korea laufen und vor allem von Teenagern konsumiert
     werden, sind so voller Gewaltszenen, dass ich es nach meinem ersten Monat in Korea aufgab, Musikfernsehen einzuschalten. Die
     Geschichten der Musikvideos drehen sich oft um tödliche Autounfälle, unheilbare Krankheiten, Selbstmorde, Geisteskrankheit,
     Vergewaltigung, Bandenkriege und Eifersuchtsdramen. Die brutalen Szenen stehen in starker Diskrepanz zu der sentimentalen
     Musik. Ich vermute, dass die dramatischen Videos der an sich banalen Popmusik mehr Tiefe verleihen sollen, aber vielleicht
     ist die Gewaltdarstellung in Musikvideos auch einfach eine Mode, deren Charme sich mir entzieht. Als mir Peter, ein Englischlehrer
     aus Australien, von immer brutaleren Schlägereien auf dem Schulhof, in die immer jüngere Kinder verwickelt waren, erzählte,
     fragte ich mich, ob nicht auch die drastischen Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen damit zu tun hatten.
    Dass die meisten Hallyu-Produktionen den Sprung ins westliche Ausland nicht schaffen, kümmert in Korea niemanden. Schließlich
     ist Korea neben Indien der zweite von Hollywood unabhängige Filmmarkt, der vor allem Eigenproduktionen präsentiert. Bis 2006
     mussten aufgrund einer Quotenregelung mindestens 40   Prozent koreanische Filme in heimischen Kinos gezeigt werden. Infolge eines Handelsabkommens mit den USA wurde die Quote jedoch
     später gesenkt. Der Übermacht koreanischer Produktionen tut dies jedoch keinen Abbruch. Nur wenige amerikanische Blockbuster
     schaffen es in die Top-Ten-Liste der koreanischen Kinohits. Europäische Filme finden nur wenige Liebhaber.
    Amerikanern ist Hallyu ein Begriff – schon allein wegen der nicht unerheblichen Zahl koreanischstämmiger Amerikaner, die ebenfalls
     dem Hallyu-Fieber verfallen sind. Rain gab ein gut besuchtes Konzert im New Yorker Madison Square Garden und bekam kleine
     Rollen in amerikanischen Filmen. Hollywood-Studios |129| greifen ab und an koreanische Filmstoffe auf und machen Remakes koreanischer Produktionen.
    Ich fand Hallyu als kulturelles Phänomen interessant, konnte aber nicht besonders viel damit anfangen. Irgendwann fiel mir
     jedoch auf, dass die Hallyu-Fans unter meinen Kommilitoninnen an der Ewha wesentlich besser Koreanisch sprachen als ich. Wenn
     ich sie fragte, was ihnen beim Lernen am meisten geholfen hatte, sagten sie: »Ich höre viel koreanische Musik« oder »Ich sehe
     jeden Tag koreanische Serien an«. Ich dachte, es sei einen Versuch wert. Das koreanische Musikfernsehen hatte ich schon aufgegeben,
     weil ich davon Albträume bekommen hatte. Auf Empfehlung koreanischer Freunde kaufte ich mir ein paar koreanische CDs, kopierte
     die Musik auf meinen MP 3-Player und hörte sie mir in der U-Bahn an. Durch die schnulzigen Popballaden erschloss sich mir kein neuer Wortschatz, weil ich sehr schnell das Interesse verlor.
     Sie gingen mir so auf die Nerven, dass ich die CDs weiterverkaufte und die Lieder von meinem MP 3-Player löschte. Die einzige koreanische Musik, die langfristig auf meinem MP 3-Player blieb, kam von einer Underground-Band namens Fortune Cookie. Ich hatte die CD nur wegen

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