Schlaflos in Seoul
des Bandnamens und des hübschen C D-Covers gekauft. Die meisten meiner koreanischen Freunde kannten die Band nicht einmal.
Nach der konventionellen koreanischen Popmusik versuchte ich es mit Serien. Schon in Deutschland war ich nicht unbedingt ein
Serienfan, aber ich sah gerne amerikanische Sitcoms wie ›Friends‹ und wusste, wenn man sich einmal mit einer Geschichte und
den Figuren angefreundet hatte, wurde man süchtig nach der Serie und verfolgte sie fanatisch. Ich schaltete durch die verschiedenen
Kanäle und sah mir alles an, was ich finden konnte. Eine Sitcom, die auch Joes Schwestern gefiel, fand ich sehr witzig. Die
Schauspieler benutzten aber sehr viel umgangssprachliche Ausdrücke, die ich nicht verstand. Ich versuchte, ein paar unbekannte
Wörter zu notieren, aber ich |130| war nie schnell genug und verpasste dann bereits den nächsten Witz. Nach wenigen Folgen gab ich auf, weil ich einfach zu wenig
mitbekam.
Bei anderen Serien konnte ich dem Handlungsstrang nicht so recht folgen, weil ich die Hauptdarstellerinnen immer durcheinanderbrachte.
In koreanischen Serien treten sehr viele gut aussehende Menschen auf. Dieser optische Anreiz ist der Hauptgrund für den Hallyu-Hype
in anderen asiatischen Ländern. Junge Japanerinnen, Chinesinnen oder Vietnamesinnen sehen sich die wunderschönen koreanischen
Schauspielerinnen an und stellen sich vor, an ihrer Stelle mit den ebenso schönen Hauptdarstellern ein Rendezvous zu haben.
Die Schönheit der Hallyu-Prominenz ist jedoch in den seltensten Fällen natürlich. In dem Szeneviertel Apgujeong befindet sich
– ohne Übertreibung – in jedem zweiten Haus ein Schönheitschirurg. Manche dieser Ärzte werben sogar mit ihrer prominenten
Kundschaft und versprechen, die Nase des jeweiligen Idols genau reproduzieren zu können. Über den Sinn oder Unsinn der Schönheitschirurgie
kann man mit Koreanern sehr interessante Gespräche führen, beim Fernsehen stellte mich das Resultat der kosmetischen Eingriffe
jedoch vor ein konkretes Problem: Ich konnte mir nicht merken, welche Serienfigur die gute und welche die böse war – einfach
weil sich die Schauspielerinnen zu ähnlich sahen.
Eine Hallyu-Erfahrung der besonderen Art machte ich, als mich ein koreanischer Regisseur kontaktierte, der mich im Fernsehen
gesehen hatte. Er plante eine Miniserie über einen koreanischen Schriftsteller, der lange in Deutschland gelebt hatte. Die
drei Folgen der Miniserie sollten einen Zeitraum abdecken, der sich etwa von den 1920er bis zu den 50er Jahren erstreckte.
Für Nebenrollen wurden Deutsche benötigt. Er fragte mich, ob ich für die Rolle der Freundin des Schriftstellers und für die
Rolle einer Schülerin vorsprechen wollte. An dem Tag, für den das Vorsprechen angesetzt war, hatte ich nichts Besonderes |131| vor. Also ging ich hin, las die Dialoge so gut ich konnte vom Blatt und hoffte, dass der Regisseur damit zufrieden war. Meine
Schauspielerfahrung beschränkte sich auf Auftritte im Schultheater, aber beim Fernsehen hatte ich zumindest ansatzweise gelernt,
wie ich mich vor der Kamera zu präsentieren hatte. Da viele koreanische Seriendarsteller schließlich auch nicht durch überragendes
Talent auffallen, hielt ich meine Leistung für durchaus akzeptabel. Der Regisseur sagte jedoch nichts.
Einige Tage später bekam ich per E-Mail Bescheid. Ich hatte die Vorauswahl bestanden. Offenbar war der Regisseur aber weder von meinem schauspielerischen Talent
überzeugt, noch von dem der anderen Deutschen, die vorgesprochen hatten. Er verpflichtete uns zu einem einmonatigen Schauspieltraining.
Obwohl ich nie ernsthafte schauspielerische Ambitionen hatte, freute ich mich über die Chance, etwas Neues lernen zu dürfen.
Ich vermutete, ein Schauspieltrainer würde mit uns Übungen machen – in der Art von »Stell dir vor, du bist ein Elefant …«, »Stell dir vor, du bist eine Eistüte …«, all die albernen Kreativitätsspielchen, von denen Absolventen berühmter Schauspielschulen gleichzeitig amüsiert und genervt
berichteten.
Gespannt ging ich zu meiner ersten Schauspielstunde. Es kam aber kein Schauspieltrainer, sondern nur der Regisseur, seine
Assistenten und die anderen Deutschen, die ausgewählt worden waren. Wir machten auch keine Übungen, sondern lasen einfach
wieder und wieder die Dialoge, die wir eine Woche zuvor bekommen hatten. Wir wussten wenig über die Figuren und über die Zusammenhänge
der Geschichte.
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