Schlaflos in Tofuwuerstchen
gehustet.
Ich überlege, ob ich mich schlafen lege. Es ist kurz nach halb zehn. Der nächste Tag wartet mit einem Meeting in der Agentur auf mich, dem ich schon jetzt mit Grauen entgegenblicke. Ich habe keine Lust, in einem Raum voller Menschen zu sein, die darüber diskutieren, wie man die Umsätze optimieren kann. Das einzige, das ich optimieren möchte, ist mein Leben. Aber wo findet das Meeting statt, um darüber zu reden? Im Chat mit Rafael? In der Wohnung von Clara und Peter, wo sich ein neuer Streit anbahnt, der mir diesmal Peter anstelle von Clara vor die Tür schickt?
Ich brauche einen Schlachtplan. Eine Strategie, die die Wartezeit auf Peters Rückkehr erträglicher macht und vor allem: verkürzt. Wann wird er einsehen, dass die Entscheidung, mich aus seinem Plan zu streichen, falsch war? Hat er es womöglich bereits erkannt und ist nur zu stolz es zuzugeben? Männer sind in der Lage, einen Fehler ihr ganzes Leben lang als richtige Entscheidung auszugeben (auch und gerade vor sich selbst), nur um ihrem Ego nicht zu schaden.
Ich werde müde und entscheide mich, die imaginären Skizzen für meinen Schlachtplan mit ins Bett zu nehmen. Rafael säuselt mir das altbekannte "Noch nicht offline gehen" entgegen. Ich schenke ihm einen mitfühlenden Smiley. Mehr ist heute einfach nicht drin.
Mein nächster Schachzug ist geradezu genial wie unerwartet. Die Sache mit dem Schlüssel war amateurhaft und undurchdacht, jetzt werden neue Geschütze aufgefahren. Ungeduldig fiebere ich dem Ende des Meetings entgegen, das mir meine Kollegen an diesem Morgen näher bringt, als mir gut tut. Ich sitze zwischen Bernd, der die Bügel seiner Brille in seinem Mundwinkel balanciert, und Katrin, die entsetzt ein Malheur an ihren frisch lackierten Fingernägeln begutachtet, während unser Geschäftsführer, Herr Lohmeyer, die Wichtigkeit der Kundenzufriedenheit erläutert.
Ich werde ihn anrufen und um ein Treffen bitten.
Die Idee ist genial in ihrer Einfachheit. Keine Vorwände, keine fadenscheinigen Ausreden. Ich werde das tun, was ich bisher versäumt habe: Ihn zur Rede stellen. Vom Verkünden seiner Entscheidung bis hin zu meinem holprigen Versuch mit dem Kellerschlüssel habe ich nicht einmal gesagt, was ich wirklich empfinde. Zwischen Phasen der Sprachlosigkeit schob sich anfangs noch ein wimmerndes Warum , doch mit der Zeit ist selbst das zur unausgesprochenen Selbstbestrafung geworden. Ich wollte ihn mit erwachsener Zurückhaltung an meine innere Reife und Contenance erinnern. Resultat war und ist die Tatsache, dass ich allein bin. Noch immer. Ohne Peter, ohne Tofuwürstchen und ohne Plan. Doch das Ende dieser glanzlosen Phase rückt näher, als ich den Hörer in die Hand nehme und die Nummer seiner Redaktion wähle. Er ist selbst dran. Gott sei Dank.
"Peter."
"Eve?"
Er hat mich Eve genannt. Ein gutes Zeichen.
"Ja."
"Warum rufst du an?"
"Wir müssen uns sehen."
"Ist was passiert?"
"Kann man so sagen."
Du hast mich verlassen. Das ist passiert.
"Muss ich mir Sorgen machen?"
"Können wir uns sehen?"
"Ähm ... ja, wenn es so wichtig ist. Wann? Wo?"
"Heute Nachmittag, halb fünf, im Finish ."
"Okay."
Ich bemerke seine Verunsicherung. Er ist verwirrt. Aber sicher auch neugierig. Ganz sicher sogar. Ich zelebriere meinen Erfolg, in dem ich für den Rest meines Arbeitstages ein Lächeln an alle Ein- und Austrudelnden der Agentur versende. Ein Lächeln, das ich zum ersten Mal seit langem nicht aufsetzen muss, sondern tatsächlich empfinde. Heute ist es soweit. Endlich. Der Tag, an dem ich ihn mir zurückhole.
"Ich verstehe nicht, warum wir hier sind, Eve. Was ist so wichtig, dass es keinen Tag warten konnte?"
"Wir beide."
"Wir beide?"
"Wir müssen reden, Peter."
"Okay. Dann reden wir. Worüber willst du reden? Gibt es noch irgendwelche verschollenen Schlüssel, von denen ich nichts weiß?"
"Wie konnte das passieren, Peter? Wie konnten wir uns verlieren?"
"Soll das etwa eine Aussprache werden?"
"Vielleicht."
"Hast du mich deswegen herbestellt? Um mich zu fragen, wie wir uns verlieren konnten?" Er schaut mich an, als hätte ich ihn gebeten, mir eine Reise zum Mond zu spendieren.
"Du findest diese Tatsache nicht Grund genug für ein Treffen?"
"Selbst wenn es Grund genug wäre, kommt es nicht ein bisschen spät?"
Der Kellner stellt zwei Glas Wasser auf unseren Tisch.
"Ich hatte gehofft, dass du von selbst zur Besinnung kommst."
"Zur Besinnung?" Er nimmt einen Schluck aus seinem Glas.
"Ja, zur
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