Schlaflos in Tofuwuerstchen
bereit, dafür aufs Ganze zu gehen?
Er legt seine Hand auf mein Knie. Ich zucke zusammen und springe auf. Unweigerlich muss ich an Peter denken, wie er seine Hände über meine Knie schiebt, bis sie meinen Bauchnabel berühren. Ein Schauer überkommt mich. Eine Mischung aus Sehnsucht nach dem Vergangenen und Angst vor dem Unbekannten.
"Es tut mir leid, aber ich muss jetzt los."
"Jetzt? Aber wir sind doch gerade erst gekommen."
"Tut mir leid." Ich bemühe mich nicht mal um eine Ausrede, während ich zur Tür stürme. Mein Weg führt mich gefühlte eintausend Stufen herunter, bis ich in die dunkle Freiheit trete. Das Haus hinter mir entfernt sich weiter von meinen sich fast überschlagenden Füßen. Irgendwo in diesem Haus ärgert sich ein Mann namens Tom über seine verpasste Chance. Vielleicht heißt er auch Tim.
Kapitel 4 : Singlealltag offline
Herzlich willkommen im Literatur Chat, Eve78. Es ist außer dir 1 weiterer Benutzer im Chat.
Eve78: tut mir leid, bin ein bisschen spät
Es ist das sechste Mal, dass Rafael und ich miteinander chatten und das erste Mal, dass wir uns vorher offiziell für einen Chat verabredet haben. Mit niemandem macht das Rezensieren von Büchern so viel Spaß wie mit ihm, auch wenn sich die Rezensionen, zumindest von seiner Seite, langsam zu Vorwänden entwickeln, uns virtuell treffen zu können.
Rafael: findest du es nicht auch merkwürdig, dass immer nur wir beide hier sind?
Eve78: tagsüber treffe ich hier öfter mal jemanden. warum fragst du? reiche ich dir nicht? ;-)
Rafael: was für eine frage
Eve78: findest du sie unberechtigt?
Rafael: natürlich. inzwischen solltest du bemerkt haben, dass mir das rezensieren nur mit dir wirklich spaß macht. blöd ist nur, dass wir im moment nichts zum rezensieren haben
Eve78: haben wir nicht?
Rafael: habe in den letzten tagen leider nichts neues gelesen
Eve78: na ja, es muss ja nichts neues sein
Rafael: viel schöner fänd ich es, wenn wir zur abwechslung über etwas anderes reden könnten
Eve78: etwas anderes? wie anders darf es denn sein? :-)
Rafael: na ja, anders eben
Ich frage mich, ob dies der geeignete Weg für die ersehnte Ablenkung ist. Julia nimmt mir meine Flucht vor Tom noch immer übel, auch wenn sie Jens seit diesem Abend ebenfalls nicht wieder gesehen hat. Sie nennt es das Nicht Nutzen von Chancen und versucht, mir deswegen ein schlechtes Gewissen einzureden. Meine Frage, was mir ein One-Night-Stand mit diesem Typen gebracht hätte, blockt sie mit dem Argument ab, dass es meinem Selbstwertgefühl gut tun würde, auf diese Weise meinen Marktwert zu überprüfen.
Überprüfe ich meinen Marktwert, während ich mit Rafael chatte? Würde Julia diese Art der Unterhaltung als Ablenkung akzeptieren?
Rafael: kommt es sehr überraschend, wenn ich dich bitte, mir ein foto von dir zu schicken?
Eve78: überraschend nicht, allerdings weiß ich nicht, ob ich es möchte
Rafael: warum nicht? :-)
Eve78: weil ich nicht weiß, was du damit anstellst
Rafael: was ich damit anstelle? das kann ich dir verraten: ich benutze es als lesezeichen für mein nächstes buch
Eve78: wer weiß, in welchem buch ich dann lande, vielleicht ein schundroman. das scheint mir doch recht riskant ;-)
Rafael: du traust mir schundromane zu?
Eve78: wer weiß das schon?
Rafael und ich tauschen unsere Emailadressen aus, während ich, zum ersten Mal in meinem Leben als Single, eine Art Routine bemerke. Der abendliche Klick ins Internet, das Einschlafen vor dem Fernseher, noch bevor Columbo den Mörder entlarven kann und ein leerer Joghurtbecher neben meinem Bett schließen sich zu einem vertrauten Trio zusammen. Bin ich womöglich längst im Singlealltag angekommen?
Das Foto von Rafael erstaunt mich. Er liest sich dunkelhaarig und ist blond, er klingt groß und ist höchstens 1 Meter 70. Doch es fehlt ihm an Bedeutung, um damit Einfluss auf meinen Gemütszustand zu nehmen. Das Nichterfüllen meiner Erwartungen wirft mich lediglich in Bezug auf Peter aus der Bahn. Ob Rafael ahnt, dass er nur ein Zeitvertreib ist? Ein Lückenfüller zum Schutz vor zu tiefen Depressionen? Er ist nett. Ich mag ihn. Aber sein Stellenwert ist aus der Peterperspektive weit außer Sicht.
Seltsam, wie schnell man die Begeisterung für jemanden verliert, wenn man sich seiner sicher zu ist. Vielleicht hat er mir einmal zu oft verdeutlicht, wie sehr er meine Buch-Tipps schätzt. Einmal zu oft ein "Bitte noch nicht offline gehen" in den Chat
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