Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
zulassen, dass es den Kindern etwas tut! «
    Ralph stieß einen zitternden Stoßseufzer aus. »Das wird es nicht.«
    »Wie willst du das wissen?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß es eben.«
    »Ich habe auf es geschossen.« Sie hielt sich den Finger vors Gesicht und sah einen Moment wie eine Frau aus, die einen Selbstmord simuliert. »Ich habe mit dem Finger auf es geschossen.«
    »Hmhm. Und es hat ihm wehgetan. Ziemlich, wie es ausgesehen hat.«
    »Ich kann die Farben nicht mehr sehen, Ralph.«
    Er nickte. »Sie kommen und gehen wie Rundfunksender in der Nacht.«
    »Ich weiß nicht, was ich empfinde … ich weiß nicht einmal, was ich empfinden möchte! « Letzteres wimmerte sie, und Ralph nahm sie in die Arme. Bei allem, was sich derzeit gerade in seinem Leben abspielte, war eines ganz deutlich: Es war wunderbar, wieder eine Frau in den Armen zu halten.
    »Schon gut«, sagte er ihr und presste das Gesicht an ihren Kopf. Ihr Haar roch angenehm, ohne das Aroma
von Chemikalien aus dem Schönheitssalon, an das er sich die letzten zehn oder fünfzehn Jahre ihres gemeinsamen Zusammenlebens bei Carolyn erinnerte. »Lass es vorerst einfach dabei bewenden, okay?«
    Sie sah ihn an. Er konnte den feinen Nebel nicht mehr über ihre Pupillen ziehen sehen, war aber überzeugt, dass er noch da sein musste. Und außerdem waren es sehr hübsche Augen, auch ohne diese zusätzlichen Zauber. »Wozu geschieht das alles, Ralph? Weißt du, wozu es geschieht?«
    Er schüttelte den Kopf. In seiner Vorstellung kreisten die Teile eines Puzzles - Hüte, Docs, Käfer, Spruchbänder, platzende Puppen voll unechtem Blut -, die sich nicht zusammenfügen wollten. Zumindest im Augenblick war ihm am deutlichsten der Ausspruch des alten Dor gegenwärtig: Geschehenes lässt sich nicht ungeschehen machen.
    Ralph hatte eine Ahnung, als wäre das die reine Wahrheit.

3
    Ein trauriges, leises Winseln erweckte seine Aufmerksamkeit, und Ralph sah den Hügel hinab. Rosalie lag am Stamm der großen Kiefer und versuchte aufzustehen. Ralph konnte die schwarze Hülle um sie herum nicht mehr sehen, war sich aber sicher, dass sie noch da war.
    »O Ralph, das arme Ding! Was können wir tun!«
    Sie konnten gar nichts tun. Dessen war sich Ralph gewiss. Er nahm Lois’ rechte Hand in seine beiden und wartete, dass Rosalie sich hinlegen und sterben würde.
    Aber anstatt zu sterben, bäumte sie sich so heftig mit dem ganzen Körper auf, dass sie auf die Füße kam und
fast zur anderen Seite umgekippt wäre. Sie blieb einen Moment ruhig stehen und hielt den Kopf so tief, dass ihre Schnauze fast den Boden berührte, dann nieste sie drei-oder viermal. Nachdem das erledigt war, schüttelte sie sich und sah zu Ralph und Lois auf. Sie kläffte einmal, ein sprödes, abgehacktes Geräusch. Für Ralph hörte es sich so an, als wollte sie ihnen sagen, dass sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchten. Dann drehte sie sich um und ging durch den kleinen Kiefernhain zum anderen Ausgang des Parks. Bevor Ralph sie aus den Augen verlor, hatte sie wieder die hinkende und doch gewandte Gangart angenommen, die ihr Markenzeichen war. Das schlimme Bein war nicht besser als vor dem Eingreifen von Doc Nr. 3, aber es schien auch nicht schlimmer zu sein. Eindeutig alt, aber alles andere als tot ( genau wie wir anderen Harris Avenue Altsemester, dachte Ralph), verschwand sie zwischen den Bäumen.
    »Ich dachte, das Ding würde sie töten«, sagte Lois. »Tatsächlich habe ich angenommen, es hätte sie getötet.«
    »Ich auch«, sagte Ralph.
    »Ralph, ist das alles wirklich passiert? Es ist passiert, nicht?«
    »Ja.«
    »Die Ballonschnüre … glaubst du, dass sie Lebenslinien sind?«
    Er nickte langsam. »Ja. Wie Nabelschnüre. Und Rosalie …«
    Er dachte an das erste richtige Erlebnis mit den Auren zurück, wie er mit dem Rücken zu dem blauen Briefkasten vor dem Rite Aid gestanden und ihm das Kinn fast bis auf die Brust geklappt war. Von den sechzig oder siebzig Menschen,
die er gesehen hatte, bevor die Auren wieder verblasst waren, hatten nur einige wenige diese schwarzen Umhüllungen getragen, die er jetzt als Leichentücher betrachtete, und dasjenige, das Rosalie um sich gestrickt hatte, war bei Weitem schwärzer gewesen als alle an jenem Tag. Aber die Leute auf dem Parkplatz, deren Auren von trübem Schwarz gewesen waren, hatten ausnahmslos krank ausgesehen … wie Rosalie, deren Aura die Farbe verschwitzter Socken gehabt hatte, noch bevor Kahlkopf Nr. 3 sich ihrer annahm.
    Vielleicht hat er

Weitere Kostenlose Bücher