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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Fahrer
waren. Dann rollten sie zwei Karren mit Wäschesäcken
durch den langen Flur, kamen an einer Granittreppe vorbei, die in
den ersten Stock führte, bis sie schließlich die
Wäschekammer erreichten. Kraus öffnete die Tür mit
dem Schlüssel, der an seiner Uniformjacke hing. Als sie drin
waren, warf er einen Blick auf die Uhr. Es war neun Uhr
fünf.     
    »Raus mit dem
Zeug, Kai.« Kraus kippte den Inhalt der Wäschesäcke
aus den Karren achtlos auf den Boden. Er musste noch den
Schlüssel finden, der das Schloss zum Lagerraum öffnete,
die Kisten ausfindig machen und sie in Säcke umpacken, bevor
sie sie in den Lastwagen laden konnten. Sie durften keinen Verdacht
erregen, weil sie zu lange brauchten. »Was war das
denn?« Kraus hielt inne.
    »Ich habe nichts
gehört.«
    Kraus schon.
Zerberstendes Glas. Oben.
    Sie schoben die leeren
Karren im Laufschritt durch einen langen Gang mit Regalen voller
Tischwäsche, bevor sie den hinteren Korridor erreichten. Auf
der anderen Seite des dunklen Ganges sahen sie eine
Tür. Lagerraum der
Abgeordneten. Gut. Aber Kai, der die
Taschenlampe hielt, während Kraus sich mit den
Hauptschlüsseln abmühte, zitterte so stark, dass der
Lichtkegel immer schneller vibrierte, wie in einem alten Film.
Reiß dich zusammen!, hätte Kraus ihn fast angeschrien.
Einer dieser Schlüssel musste funktionieren, das war vom
Gesetz vorgeschrieben. Außerdem ist alles in Ordnung. Es ist
erst neun Uhr acht. Aber wieso riecht es so verbrannt? Kocht da
oben etwa jemand? Als er den fünften Schlüssel
ausprobierte, glitt der Riegel zurück. Amen! Als er die
Tür aufstieß, knallte es oben zweimal, scharf. Kraus
drehte sich um. Das Geräusch von Schüssen war
unverkennbar. In dem hellen Lichtstrahl der Taschenlampe sah er
dunkle Rauschschwaden auf sie zukriechen.
    »Warte
hier!«, flüsterte er Kai zu. Er musste herausfinden, was
zum Teufel da vor sich ging. Er rannte durch den Gang und blieb an
der Granittreppe kurz stehen. Es war vollkommen dunkel. Er glitt
mit der Hand an der Wand entlang, als er sich langsam die Treppe
hinauftastete und betete, dass der Nachtwächter nicht
auftauchte. Auf halbem Weg hielt er inne. Da oben lief jemand
herum. Einer oder mehrere? Das konnte er nicht erkennen. Er
hörte nur Echos von Schritten; jemand rannte wie wild herum.
Dann wieder Ruhe. Der Geruch von Rauch war wirklich widerlich. Als
er die oberste Stufe erreichte, blieb Kraus erstaunt stehen. Die
geschnitzte Holztäfelung an der Decke glühte rot. Und aus
dem Flur drang gellendes Gelächter zu ihm herüber. Dunkle
Schatten tanzten über die Wände des Plenarsaals. War es
nur ein Mann, oder waren es mehrere? Er sah es nicht. Aber er
begriff, dass jemand den ganzen Bau in Brand steckte.
Brandstiftung!
    »Halt!« Er
erkannte die viel zu vertraute Stimme hinter sich sofort. Seine
Kehle schnürte sich zu. Eine Katastrophe! Sein Magen krampfte
sich zu einem festen Knoten zusammen. »Hände
hoch!«
    Er gehorchte und
drehte sich langsam herum. Sein Blick fiel auf eine lange, schwarze
Luger, deren Mündung auf ihn gerichtet war, und dann tauchte
auch das teigige Gesicht von Herbert Thurmann auf den Stufen
auf.
    »Sieh an, sieh
an, sieh an.« Der bleistiftdünne Schnurrbart hob sich in
einem Ausdruck aufrichtigen Entzückens. »Ich wusste,
dass Sie nichts Gutes im Schilde führten, Kraus.«
Während er näher kam, verstärkte sich sein Grinsen,
wurde höhnisch. »Von dem Moment an, als ich Sie vor dem
Polizeipräsidium gesehen habe, wo Sie Ihrer ehemaligen
Sekretärin auflauerten, bin ich Ihnen gefolgt. Es war sehr
leichtsinnig von Ihnen, dass Sie mich nicht bemerkt
haben.«    
    Der schwarze Opel,
dachte Kraus.
    »Sie lassen wohl
nach, was, Judenbürschchen? Sie hätten Deutschland
verlassen sollen, als Sie noch die Chance dazu hatten.«
Thurmanns teigiges Gesicht leuchtete triumphierend. Er
amüsierte sich prächtig. Wie eine Katze, die über
dem Vergnügen, ihr Opfer zu quälen, alles andere
vergaß. Er achtete nicht auf die dunkle Gestalt zu ihrer
Linken. Kraus bemerkte, dass sich jemand im Reichstagsrestaurant zu
schaffen machte. »Jetzt ist das Spiel für Sie
vorbei.« Für alle Untermenschen wie Sie, schien Thurmann
sagen zu wollen.
    Seine Arroganz, seine
sadistische Freude brannten in Kraus’ Magen wie Säure.
Was für eine traurige Wendung! Und nicht nur für ihn,
sondern auch für Ruta, die jetzt sicherlich ebenfalls
verhaftet werden würde. Und für all diese Kisten mit
Beweismaterial im Lagerraum.

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