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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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entschuldigte sich.
»Ich muss kurz auf die Toilette, Kai.«
    Im Spiegel betrachtete
er seine glänzenden dunklen Augen, die so laut wie jede
Reklametafel am Potsdamer Platz verkündeten, dass er kein
echter Deutscher war. Dabei war er nie etwas anderes gewesen, wo
auch immer auf dieser Welt er sich befand: ein Deutscher. Hier
jedoch war er keiner mehr.
    Als er von der
Toilette zurückkam, blieb er wie angewurzelt stehen. Über
ihren Tisch beugte sich eine korpulente Gestalt in einer braunen
SA-Uniform, und das von Kriegsnarben entstellte Gesicht wirkte
nicht allzu erfreut. Kraus duckte sich in den Schatten. Ernst
Röhm. Wie konnte er nur glauben, das Excelsior wäre
sicher!, schalt er sich. Jugendlicher Wahn von Unverletzlichkeit,
wie Ava sagen würde? Oder hatte er einfach nur gedacht, die
Nazis wären zu ordinär, um an einem solchen Ort zu Abend
zu essen? Vermutlich musste er nicht mal seine Rechnung bezahlen.
Neben Röhms massiger Gestalt wirkte Kai sehr blass. Er
gestikulierte heftig, als würde er etwas erklären.
Zweifellos gefiel es dem SA-Führer überhaupt nicht, wenn
ihm seine Jungs wegliefen. Aber als Kai ihm etwas ins Ohr
flüsterte, erbleichte Röhm. Er richtete sich auf,
streckte die Hand zum Hitlergruß aus und verschwand. Kraus
trat an den Tisch zurück und war stolz auf seinen
Schützling.
    »Was hast du ihm
gesagt? Dass du Syphilis hast oder so was?«
    »Schlimmer.« Kai
verzog das Gesicht. »Ich habe ihm gesagt, dass ich jetzt
für Himmler arbeite.«
    Sie hockten zwischen
den kahlen Akazien, die das Ufer der Spree säumten, und waren
beinah so gefroren wie der Fluss unter ihnen, als sie den
Wäschereiwagen sahen, der um 20 Uhr 47 über die
Brücke rumpelte. Aber wo blieben Kais Jungs? Ohne sie war der
Plan geplatzt. Improvisiere, Kumpel!, befahl er sich. Improvisiere!
Als der Lastwagen an einer Ampel hielt, straffte er sich und ging
zu der Tür auf der Fahrerseite. »Rutsch
rüber!« Er hob seine Pistole. Sie mussten ja nicht
wissen, dass sie nicht geladen war. Die beiden Fahrer in der
Uniform der Wäscherei hoben die Hände. »Soll das
ein Witz sein? Ihr klaut eine Fuhre Tischdecken?«
    »Halt den Mund.
Tut, was ich euch sage, dann passiert euch
nichts.«
    Sie lenkten den
Lastwagen weg von den Straßenlaternen in den Schatten. Kraus
zwang die Fahrer, ihre Uniformen auszuziehen, dann fesselte und
knebelte Kai sie mit Servietten aus ihrer eigenen Ladung.
»Gut, dass ihr mit einer sauberen Fuhre unterwegs seid, was,
Kumpel?«
    Was soll ich mit den
beiden anfangen, wenn Kais Jungs nicht bald auftauchen?, dachte
Kraus. Soll ich sie in einen Wäschesack stopfen? Aber gerade,
als er die dunkelblaue Uniformjacke anzog, hörte er das
Klappern von Pferdehufen. Zwei »Rote Apachen« hielten
mit einem alten schwarzen Leichenwagen neben ihnen an. Kraus befahl
ihnen, die beiden Gefangenen in zwei Kiefernsärge auf die
Pritsche zu laden und sie jeweils mit einem Tischtuch zuzudecken.
»Um Schlag Mitternacht werdet ihr befreit«, versprach
er. »Unversehrt.« Und ich bin in Polen, fügte er
stumm hinzu. »Vergesst nicht das Geld für ihre Taxifahrt
nach Hause.« Er gab den Jungs das Geld. Als das Pferd
davontrabte, stiegen Kai und er wieder in den Lastwagen. Es war
bereits zwei Minuten nach neun. Sie waren spät
dran.
    Der Wachmann am Tor
warf ihnen einen verblüfften Blick zu. »Was ist mit Rudi
und Heinz passiert?«
    Kai spielte seine
Rolle perfekt und deklamierte seine Sätze, als wäre er am
Deutschen Nationaltheater. »Sie sind sich doch wohl
darüber im Klaren«, flüsterte er ihnen so finster
zu, wie Mephisto dem Faust, »dass die beiden bei der Gestapo
sind, hm? Ich glaube, sie sind gerade dabei, einige dieser Roten
Brüder umzuerziehen, wenn Sie wissen, was ich
meine.«
    Kraus sah, wie sich
der Wachmann versteifte. Er war eindeutig entsetzt, aber er hatte
zu viel Angst, es zu zeigen. Er war ein lebender Beweis dafür,
wie effektiv der Naziterror war. Selbst eine Andeutung
genügte. »Ach so.« Er lächelte gequält.
Als Kai »Heil Hitler!« brüllte, hob sich die
Schranke wie von Geisterhand.
    Der riesige, graue
Reichstag lag dunkel vor ihnen. In seiner Glaskuppel spiegelte sich
das silberne Licht des Mondes. Kraus’ Hoffnungen und
Ängste schienen sich in diesem Licht zu reflektieren. Sie
bogen um die südwestliche Ecke und hielten vor dem
Lieferanteneingang. Sie klingelten und warteten auf den
Nachtwächter, der sie hereinließ, ohne daran
Anstoß zu nehmen, dass sie nicht die üblichen

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