Schlafwandler
Schauspieler aus den Babelsberger Studios, der eine
Spionageszene übt? Woher soll ich wissen, wer Ihre Freundin
ist und wer nicht?«
»Sie ist etwa
vierundzwanzig. Dunkles Haar, dunkle Augen. Und sie trägt
einen Leopardenpelzmantel.«
Jetzt lachte die Frau.
»Einen Leopardenmantel, sagen Sie? Sieht dieses Restaurant
aus, als würden die Frauen hier Leopardenpelzmäntel
tragen?«
»Sie könnte
von der S-Bahn-Haltestelle hierhergekommen sein. Es ist der einzige
Ort, zu dem sie hätte gehen können.«
»Hören Sie,
Herr …« Ihre Stimme wurde etwas schärfer, als
zwei Männer in langen Wollmänteln hereinkamen. »Ich
weiß nicht, was Sie glauben, aber das hier ist ein
Familienrestaurant. Hier spazieren keine einsamen Frauen herein,
mit oder ohne Leopardenpelzmantel. Nicht mal von der S-Bahn-Station
aus.«
»Was ist denn
los, Gretel?«, fragte einer der Männer. »Macht er
Ärger?«
»Nein, nicht
direkt.« Sie verzog verärgert das Gesicht. »Er
belästigt mich nur mit dummen Fragen.«
»Was für
Fragen?«
Kraus drehte sich zu
ihnen herum. Beide Männer waren um die dreißig und sehr
ordentlich gekleidet, mit Krawatte und Hut. Und beide hatten
silberne Parteiabzeichen auf ihren Revers.
»Ich suche nach
einer Freundin. Sie könnte Samstagnacht hier hereingekommen
sein.«
»Wie die Dame
schon sagte.« Einer der beiden trat vor und verzog aggressiv
die Lippen, als er den Hut absetzte. Er war ein Arier von der
nichtblonden Sorte. Sein dunkles, mit Brillantine geglättetes
Haar hatte er straff aus der Stirn zurückgekämmt. Er
grinste spöttisch und entblößte dabei einen
auffallend großen Spalt zwischen seinen beiden vorderen
Schneidezähnen. »Das ist kein Ort, an dem Frauen ohne
Begleitung auftauchen. Es ist ein anständiges Lokal. Für
anständige
Deutsche.«
Kraus glaubte, einen
Arztkittel unter dem Mantel des Mannes zu erkennen.
»Wo, glauben
Sie, sind Sie, mein Herr?«, fragte der hellhäutigere der
beiden verächtlich. Er hatte fast schwarze Augen.
»Vielleicht sind Sie ja an der falschen Haltestelle
ausgestiegen. Der Jud’damm liegt in der anderen
Richtung.«
Bei seinen Worten
brachen die Männer und die Frau in Gelächter
aus.
»Jud’damm.
Ha, ha, ha! Der ist gut. Den muss ich mir merken, Schumann«,
sagte der erste Mann begeistert und richtete den Blick dann wieder
auf Kraus, während das Lächeln auf seinem Gesicht
erlosch. »Verschwinden Sie wieder auf Ihren Jud’damm.
Und genießen Sie ihn, solange Sie noch
können.«
Kraus hatte den
Eindruck, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, die Reserven in
die Schlacht zu werfen.
Er zog seine
Kripomarke.
Aber sie erzielte
nicht die gewünschte Wirkung.
Die drei schienen der
Staatsgewalt gegenüber recht unempfindlich zu sein.
»Sie glauben,
Sie können uns damit Angst einjagen?« Der Dunkelhaarige
lachte. »Ihre Judenrepublik mit Ihrer Judenverfassung. Darauf
scheißen wir!«
»Alles in
Ordnung, Josef?« Aus einer Hintertür trat ein Mann. Er
trug schwarze Stiefel, eine SA-Uniform und ließ einen
hölzernen Totschläger in seine Handfläche
sausen.
Kraus schätzte,
dass er noch etwa dreißig Sekunden Zeit hatte, seinen Kopf zu
retten.
»Ich habe nur
nach einer Freundin gesucht«, antwortete er mit seinem
freundlichsten Lächeln. »Aber da sie niemand gesehen zu
haben scheint … Mache ich mich weiter auf die
Suche.«
Seine Bemerkung brach
die Spannung gerade so lange, dass er einen taktischen Rückzug
antreten konnte. Es nützte niemandem, wenn er wegen dieser
Prinzessin umgebracht wurde, das diktierte die Logik. Eine Minute
später bestieg er die S-Bahn in Richtung
Berlin-Mitte.
Schumann war der eine
genannt worden, und sein Freund mit den Hasenzähnen –
Josef.
So oder so würde
er dieser freundlichen, kleinen Schänke noch einen Besuch
abstatten müssen.
Eine halbe Stunde
später rauschte der Westen Berlins wieder an ihm vorbei, und
er fragte sich, was Prinzessin Magdelena Eugenia wohl bewogen haben
konnte, um Mitternacht und ganz allein in diese Bahn zu steigen.
Hatte sie sich mit einem Liebhaber getroffen? Oder Drogen gekauft?
Oder war sie wirklich nicht richtig wach gewesen? Das kam ihm noch
absurder vor. Vielleicht war sie gar nicht bis Spandau gefahren.
Vielleicht hatte sie nur die Linie genommen und war an einer der
Dutzend Stationen bis dahin ausgestiegen. Kraus war zu müde,
um weiterzudenken.
Er fühlte sich
fast selbst wie ein Schlafwandler.
Noch vor Sonnenaufgang
flogen seine Augen auf. Er hatte geträumt. Er war
Weitere Kostenlose Bücher