Schlafwandler
damals im Krieg nur eine Möglichkeit gegeben
hatte, ein feindliches Minenfeld zu überqueren. Man musste
einen Fuß vor den anderen setzen und nur auf die Stelle
blicken, wohin man den nächsten Schritt tun würde. Alles
rechts und links von einem war überflüssig, eine
möglicherweise tödliche Ablenkung. Selbst wenn der beste
Freund von einer Mine zerrissen wurde.
»Sie werden
diese Angelegenheit sofort auf sich beruhen lassen, Gunther, haben
Sie mich verstanden!«
Der Jüngling sah
ihn erstaunt an. Das war das erste Mal in ihrer Zusammenarbeit,
dass Kraus seine Stimme erhob.
»Sie finden
heraus, wo Gina Mancuso gelebt und wo sie gearbeitet hat, und wen
sie in Berlin kannte. Mehr nicht.«
Kraus fand einen
weinenden und vor Kummer gebrochenen Konstantin Kaparov in seiner
Hotelsuite im Adlon vor. Kaparov war aus dem Sechs-Tage-Rennen
ausgestiegen, weil sein Team hoffnungslos zurückgefallen war.
»Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich denke nur an
Magdelena.« Kraus hätte ihm gern aufmunternde
Nachrichten überbracht, aber alles, was er hatte, waren
Fragen. Wenigstens erlaubte Kaparovs Zustand ihm diesmal, sie
besser zu beantworten.
»Letztes Mal
habe ich vergessen, Ihnen etwas zu erzählen … Bevor wir
zum Essen gingen, hat Magdelena einen Arzt aufgesucht …
wegen ihres Knöchels. Er war sehr
geschwollen.«
»Sie haben sie
begleitet?«
»Ja. Doktor
sagt, nur verstaucht, nicht gebrochen. Hat eine Bandage angelegt.
Und Pillen gegeben. Wir sind wieder gegangen.«
»Der Name des
Arztes?«
»Daran kann ich
mich nicht erinnern. Aber das Hotel hat ihn
empfohlen.«
»Was ist mit dem
Namen des Clubs, wo Sie gegessen haben? Ist der Ihnen jetzt wieder
eingefallen?«
»Ich habe
Streichholzheftchen gefunden. Nannte sich Club Hölle .«
Hölle. Kraus kannte ihn. Eine
teure Touristenfalle im Schafspelz einer von Berlins großen
dekadenten Vergnügungshallen. Eine höchst anrüchige
Show.
»Ich habe noch
etwas vergessen zu erwähnen. Ein Hypnotiseur ist in dem Klub
aufgetreten. Während der Nummer wollte er Freiwillige für
die Bühne. Magdelena hat sich gemeldet. Sie mochte schon immer
solche albernen Sachen. Und Aufmerksamkeit. Sie liebt
Aufmerksamkeit.«
»Ist es ihm
gelungen, sie zu hypnotisieren?« Kraus musste
unwillkürlich daran denken, was Rudy, der Türsteher,
über die Prinzessin gesagt hatte.
»O ja, ja. Es
war sehr komisch. Ich musste laut lachen. Er hat Magdelena
Chinesisch sprechen lassen!«
Kraus wusste etwas
über Hypnose von seinem Cousin Kurt, einem Arzt am
berühmten Berliner Zentrum für Psychoanalyse. Kurt hatte
in Wien bei Sigmund Freud persönlich studiert und benutzte bei
seiner Arbeit auch Hypnose. Allerdings verachtete er Gauner, die
sie nur für niedere Unterhaltung einsetzten.
»Erinnern Sie
sich noch an den Namen des Hypnotiseurs?«
»Der Große
… irgendwas.«
»Der Große
Gustave?«
»Ja!«
Den Großen
Gustave hasste Kurt am meisten. Es war der berühmteste
Hypnotiseur Berlins, der »König der Mystiker«. Er
war erst kürzlich in aller Munde und hatte sich in den Augen
vieler Menschen lächerlich gemacht, als er für 1933 die
komplette Übernahme der Macht durch die Nazis vorausgesagt
hatte.
»Wie hat sich
die Prinzessin nach der Hypnose benommen?«
»Vollkommen
normal«, behauptete ihr Ehemann. »Bis sie mehrere
Stunden später ihren Mantel angezogen hat, um Zigaretten zu
kaufen.«
In Kraus regte sich
ein Hoffnungsschimmer. Also war die bulgarische Prinzessin in der
Nacht, in der sie verschwand, vom Großen Gustave hypnotisiert
worden.
Am Empfang bekam Kraus
den Namen des Arztes, an den die Prinzessin verwiesen worden war,
ein gewisser Hermann Meckel, Spezialist für Orthopädie,
der eine Praxis ein paar Häuser weiter auf der Prachtallee
Unter den Linden unterhielt. Es überlief Kraus kalt vor
Überraschung, als er Meckels Namen auf Gunthers Liste der
besten Orthopäden entdeckte. Noch ein Zufall? Konnte es
möglich sein? Schon zweimal bereits hatte ein Sachverhalt die
verschwundene Prinzessin mit der Meerjungfrau in Zusammenhang
gebracht.
Die Praxis des Arztes
war außerordentlich protzig. Kristalllüster, persische
Teppiche, Mahagonimöbel. Bedauerlicherweise war der Doktor,
laut Auskunft seiner jungen, hübschen Empfangsdame, heute
Nachmittag nicht im Haus. Dienstags arbeitete er ehrenamtlich in
der Klinik .
»Verstehe. Und
welche Klinik ist das?«
»Die SA-Klinik.
Am Spittelmarkt.«
»Verstehe«, erwiderte
Kraus.
Der berühmte
Orthopäde war
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