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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
Vom Netzwerk:
viele
hochkarätige Wissenschaftler, eine anonyme Bruderschaft und
möglicherweise auch noch die SS darin verwickelt waren, waren
sich beide Männer darüber einig, dass eine übliche
Ermittlung hier nicht in Frage kam. Ein Stich mitten ins Herz war
die einzige plausible Möglichkeit. Der schnellste Weg war es,
den Lockvogel zum Einsatz zu bringen, ihre Basis aufzuspüren
und dann ein Fangnetz für jene auszuwerfen, die auf freiem
Fuß geblieben waren. Bedauerlicherweise waren sich beide
Männer ebenfalls darüber einig, dass die Loyalität
der Berliner Polizei viel zu fraglich war, als dass man sich auf
sie verlassen könnte. Kraus staunte, als von Schleicher ihm
sagte, dass Kraus’ eigener Chef, Kommissar Horthstaler, sich
vor einem Monat den Nazis angeschlossen hatte.
    »Dieser Abschaum
hat ein unterirdisches Netzwerk hochgezogen, um den Polizeiapparat
in dem Moment übernehmen zu können, wenn sie die Macht an
sich reißen«, fauchte der Kanzler und bog wütend
das Metermaß. »Aber Sie und ich«, seine Stimme
grollte drohend, »können sie aufhalten, Kraus. Sie und
ich und Männer wie wir«, er umklammerte das
Richtmaß, »können in die Geschichte
eingehen.« Er schlug mit dem Holz auf den Schreibtisch.
»Und nicht die.«
    Kraus hätte gern
die Zuversicht des Generals geteilt. Aber wenigstens hatte er jetzt
eine Einheit der Reichsgarnison aus Potsdam zur Verfügung. Und
ihre neueste Geheimwaffe, tragbare Funkgeräte. Drei Sender-
und Empfängereinheiten, die klein genug waren, um sie auf dem
Rücksitz eines Wagens oder auf einem Boot zu montieren.
Wenigstens hatten sie damit einen Vorsprung, was die Kommunikation
anging. Was sie damit im Krieg alles hätten bewerkstelligen
können!
    Am nächsten
Morgen kamen sie einen weiteren Schritt voran.
    Gunther
bestätigte, dass Dr. Oscar Schumann, Meckels Kollege am
Institut für Rassenhygiene, ebendieser
»Jud’-damm«-Schumann aus dem Schwarzen Hirsch war. Unglaublich! Er
hatte ihn dort letzte Nacht gesehen und gehört, wie er mit
seinem vollständigen Namen angesprochen wurde. Diese
anheimelnde, kleine Gaststätte in Spandau war zwar vielleicht
nicht die Basis für dieses schmutzige Geschäft, aber sie
war auf jeden Fall eine Bühne.
    »Ich habe ihn
aufgrund Ihrer Beschreibung sofort erkannt.« Die weißen
Wangen des Jungen zitterten. »Er trug einen Arztkittel. Und
er hatte Mr. Hasenzahn zur Seite, Josef, dessen vollständigen
Namen ich leider nicht erfahren habe. Aber er trug auch einen
Arztkittel. Und wie, glauben Sie, Chef, sind die beiden gekommen?
Mit dem Boot! Neben dem Biergarten befindet sich ein kleiner Steg.
Ich habe gesehen, wie sie das Boot vertäut haben. Sie
beschwerten sich über die dreckige Luft in Sachsenhausen und
waren froh, dass sie ihr entkommen waren.«
    Schon wieder
Sachsenhausen.
    Wenn sie es nur noch
vor Silvester ausfindig machen könnten.
    Dann müsste Paula
nicht gehen.
    Aber weder er noch
Fritz noch von Schleichers Spione noch Ernst Röhms Braunhemden
noch Kai und seine »Roten Apachen« konnten die Lage
dieses geheimnisvollen Ortes
aufdecken.    
    Also zog Paula am
letzten Abend des Jahres 1932 den Reißverschluss ihres
pinkfarbenen Filmstarkleides hoch und machte sich für ihren
Auftrag »frisch«.
    Um zwanzig Uhr klopfte
es an der Tür.
    Davor stand Fritz in
Zylinder, Frack und seinem langen schwarzen Cape.
    » Szczesliwego Nowego
Roku!« , begrüßte ihn Paula
und umarmte ihn fest. »Schönes Neues Jahr,
Liebchen!«
    In ihrem früheren
Beruf musste man ein paar Brocken in jeder Sprache beherrschen,
erklärte sie ihnen mit polnischem Akzent.
    Es wurde Zeit für
einen letzten Toast.
    »Auf
1933.« Sie ließen die Gläser klingen.
    »Du wirst schon
sehen.« Ihre Augen blitzten wie grüne Neonlampen.
»Es wird funktionieren, Kraus.« Sie küsste ihn auf
die Wange. »Und wenn ich zurückkomme, fange ich von
vorne an, so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Du wirst mich
nicht wiedererkennen. Es gibt neue Kliniken, vor allem im Ausland,
die Leuten wie mir helfen können, weißt du?« Sie
strich ihm mit dem Finger über die Wange. »Sie sind
natürlich kostspielig. Aber angeblich sehr wirkungsvoll. Das
stimmt doch, oder?« Sie hakte sich bei Fritz ein.
    »Aber ja,
natürlich, ziemlich wirkungsvoll.« Er tätschelte
ihre Hand. »Hermann Göring ist gerade aus einer Klinik
in Schweden zurückgekehrt. Er war jahrelang
morphinsüchtig. Und jetzt ist er so sauber wie ein Messdiener,
wie ich hörte.«
    »Diesmal wird es
klappen. Ich spüre

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