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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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und ging in Richtung
Polizeipräsidium. Letztlich zeigte es nur, dass Meckel und
Schumann zusammengearbeitet hatten. Aber es war jedenfalls ein
Schritt in die richtige Richtung. Er kam zu Eingang sechs und zog
die Tür auf. Jetzt brauche ich nur noch herauszufinden, worum
es sich beim Institut für Rassenhygiene handelt.
    Und wo es sich
befindet.
    Gunther wartete mit
Neuigkeiten auf ihn.
    »Erinnern Sie
sich noch an die hundertfünfundfünfzig Insassen, die aus
der Nervenheilanstalt Charlottenburg verschwunden sind?« Die
blauen Augen des Jungen glühten. »Ich weiß, Sie
hatten mir befohlen, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.
Aber das konnte ich einfach nicht. Ich habe herausgefunden, wer sie
abgeholt hat. Dieses tolle Mädchen, mit dem ich zusammen bin,
verstehen Sie?« Sein Adamsapfel hüpfte.
»Christina. Sie ist so hübsch. Und ganz verrückt
nach mir. Jedenfalls arbeitet sie dort in der Buchhaltung und
…«
    »Verdammt,
Gunther, kommen Sie auf den Punkt!«
    Das Blut hämmerte
in Kraus’ Schädel. Er konnte einfach die Bilder von den
durchwühlten Büros und das schmerzerfüllte Gesicht
von Bessie Yoskowitz nicht aus dem Kopf bekommen. Wo sollte das
alles noch hinführen?
    »Der Punkt,
Chef, ist folgender.« Gunther schluckte. »All diese
verschwundenen Insassen wurden von denselben Leuten abgeholt, mit
denen Meckel zusammenarbeitete.«
    Er reichte Kraus ein
Blatt Papier.
    Es war eine Kopie des
Transportbefehls. Fünfundachtzig Insassen aus der
Nervenheilanstalt Berlin-Charlottenburg sollten für eine
»Spezialbehandlung« an einen Ort namens Sachsenhausen
verlegt werden. Es war keine Adresse angegeben, nur ein schwarzer
Stempel unter dem Antrag mit den Buchstaben
IRH.    
    Institut für
Rassenhygiene.

SECHZEHN
    »Ernst Röhm
hat nichts mit Meckels Tod zu tun«, behauptete von Schleicher
am nächsten Nachmittag. Sein neuer Schreibtisch in der
Reichskanzlei war fast so groß wie der von Hindenburg, wie
Kraus bemerkte. Aber eben nicht ganz so groß. Der
Reichspräsident war immer noch der mächtigste Mann in
Deutschland. Er hatte von Schleicher mit einem Nicken ernannt und
konnte ihn mit derselben Geste auch wieder fallen
lassen.
    Von Schleichers
Behauptung jedenfalls verblüffte Kraus. »Wenn nicht
Röhm, wer dann?«
    Der Reichskanzler nahm
sein Monokel aus dem Auge und lehnte sich auf seinem roten,
ledernen Lehnsessel zurück. Er wirkte erschöpft und um
Jahre gealtert, seit Kraus ihn vor wenigen Wochen in der
Bendlerstraße getroffen hatte. Damals war er noch einfacher
Kriegsminister gewesen. Jetzt klang seine Stimme schwach und
heiser. Als würde er den ganzen Tag nur Befehle schreien
– vergeblich.
    »Wessen Finger
genau den Abzug betätigt hat«, der Kanzler verzog das
Gesicht, während er sich die Nasenwurzel massierte,
»darüber möchte ich nicht einmal Vermutungen
anstellen.« Er sah Kraus müde an. »Nur, dass der
Rest dieser Person sehr wahrscheinlich in einer schwarzen Uniform
steckte.«
    »Schwarz?«
    Kraus war davon
überzeugt, dass die Uniform braun gewesen sein musste. Seit
wann schloss die Aufgabe der Schwarzhemden, die ja nur
geheimdienstliche Tätigkeiten zu erfüllen hatten, auch
Meuchelmord mit ein?
    Von Schleicher grinste
etwas grimmig. »Röhm glaubt, dass es ein Versuch war,
die SA in Misskredit zu bringen.«
    »Das verstehe
ich nicht. Die SS gehört doch zur SA.«
    »Schon. Aber
ihre Führer würden nichts lieber tun, als einen Bruch
herbeizuführen. Und sich damit Hitler direkt zu unterstellen.
Himmler und sein neuer Stellvertreter Heydrich – das
kaltblütigste Reptil, das ich jemals gesehen habe –
haben einen Traum. Sie wollen eine arische Elitetruppe
aufbauen.« Im Blick des Generals lag eindeutig Verachtung.
»Eine Herrenarmee der Herrenrasse. Wenn das passiert,
wären die SS und die SA, die ja, wie wir alle wissen, vor
allem aus dem Bodensatz der Gesellschaft besteht, nun ja, sie
wären wie zwei Schlangen in einem Korb. Eine von beiden muss
am Ende sterben. Und vielleicht war das der erste
Biss.«
    Eine sehr passende
Metapher, dachte Kraus.
    Angesichts dieser
Operation wirkte die Jagd auf den Kinderschänder
allmählich wie ein Kinderspiel. Damals war die gesamte
Bevölkerung auf seiner Seite gewesen. Jetzt stand Kraus fast
alleine da. Und nur Gott wusste, mit wem er es eigentlich zu tun
hatte. Er hatte immer noch keinen Schimmer, wohin all diese Frauen
verschwunden sein konnten. Ja, er wusste nicht einmal, wie viele es
waren. Wenn Gunthers Insassen aus den

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