Schlag weiter, Herz
gerast, doch kurz vorher fiel ihm ein, dass er weder einen Führerschein besaß noch erklären wollte, was passiert war. Er lenkte das Auto direkt vor dem Krankenhaus auf eine Wiese unter zwei Bäume. Er zog Stefan vom Beifahrersitz und trug ihn auf die Fahrerseite, wo er ihn hinters Steuer setzte. Dann drückte er Stefans Hände auf das Lenkrad und den blutenden Hinterkopf auf die Kopfstütze, um Spuren zu hinterlassen.
Die Kopfstütze und die Sitzfläche des Beifahrersitzes wollte Mert mit einem Lederlappen säubern, den er im Auto fand, doch er verschmierte alles nur. Er fand Scheibenreiniger im Kofferraum, zog seine Jacke und sein Sweatshirt aus, sprühte alle Flächen ein und säuberte die Beifahrerseite mit dem Shirt. Als er fertig war, schmiss er das Sweatshirt in die Büsche, zog seine Jacke wieder an und wollte Stefan aus dem Auto zerren. Stefan war seit einigen Minuten ohnmächtig, hielt die Waffe aber fest umklammert in seiner Hand. Mert hatte Mühe, sie ihm aus den Fingern zu winden, und benutzte den Lederlappen dafür, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Das einzige Versteck, das er auf die Schnelle finden konnte, war der Botenschacht der Uniklinik. Er ließ die Waffe durch den Schlitz plumpsen, dann rannte er zum Auto zurück, hob Stefan aus dem Sitz und schleppte ihn in die Notaufnahme.
»Mann, bist du fett geworden«, stöhnte Mert. Es konnte aber auch sein, dass er selbst schwach geworden war.
»Den habe ich draußen gefunden«, rief Mert, als er den Vorraum betrat. Alles Weitere lief automatisch ab. Die Schwester drückte einen Knopf, zwei Pfleger erschienen, sie schoben ein schmales Rollenbett, ihnen folgte ein Arzt. Genau genommen eine Ärztin: Constanze.
Sie rollten Stefan weg, Mert sollte im Vorraum warten. Wenig später tauchte die Polizei auf.
Mert hatte darüber nachgedacht, einfach zu verschwinden. Nach Hause zu fahren, alles Geld einzupacken, das in der Wohnung herumlag, und zu flüchten. In die USA, nach Kanada, nach Südamerika. Irgendwohin, wo geboxt wurde. Aber Constanze hatte ihn gesehen, und er konnte nicht einschätzen, wie schnell sie ihn schnappen würden, wenn sie der Polizei erzählte, wer er war. Sollten sie ihn am Flughafen festsetzen, würde es ihm schwerfallen zu behaupten, er habe mit all dem nichts zu tun.
So erzählte er den Polizisten, dass er spazieren gewesen war und gesehen hatte, dass der Wagen mit offener Tür auf der Wiese stand. Was Besseres fiel ihm nicht ein.
»Ich hab gesehen, dass der Mann blutet und es nicht bis zur Notaufnahme schafft. Und weil ich keinen Führerschein besitze, musste ich ihn tragen.«
Einer der Polizisten ging raus und untersuchte das Auto. Der andere befragte Mert von Neuem. Als sein Kollege wiederkam, zogen sich die Beamten zurück. Sie besprachen sich und stellten Mert noch mal dieselben Fragen.
Sie baten Mert zu warten, dann verschwanden sie durch die Doppeltür im Inneren des Krankenhauses. Nach einer Weile kamen sie mit Constanze zurück und verabschiedeten sich von Mert mit der Aufforderung, sich für eine weitere Befragung bereitzuhalten. Mert gab die Adresse seiner Eltern an, bei denen er immer noch gemeldet war. Wenn die Polizei nach so langer Zeit einmal mehr in der Tür stand, würde sein Vater vermutlich nostalgisch werden. Constanze wartete, bis die Polizisten abgezogen waren und sie auch sonst niemand hören konnte.
»Du hast Stefan also draußen vor der Tür blutend im Wagen gefunden …«
»Was soll ich dir sagen?«
»Die Wahrheit?«
Constanze führte ihn über polierte Linoleumflure in die Cafeteria. Sie holte zwei Kaffee an einem Automaten und ließ sich die ganze Geschichte erzählen. Mert drückte seine Hände flach auf die abgenutzte Fläche des Resopaltisches, um sein Zittern zu unterdrücken. Er erzählte Constanze alles, ließ nichts aus. Er wollte es loswerden.
»Was machst du nur für Sachen?«, fragte sie.
»Ich bin einfach dumm.«
»Du bist nicht dumm, du denkst nur nicht gerne nach.«
Mert ließ den Kopf im Nacken kreisen, sein ganzer Körper war verspannt.
»Was willst du jetzt tun?«
»Keine Ahnung.«
»Wieso gehst du nicht zu deiner Exfreundin?«
»Nadja? Wie kommst du denn auf die?«
»Sie hat nach dir gefragt.«
»Dich? Wann?«
»Als du wegen deiner Hand hier warst. Am nächsten Tag hat sie nach dir gesucht und ist bei mir in der Notaufnahme gelandet.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nichts hat sie gesagt. Sie hat nach dir gefragt. Sie wollte wissen, wie es dir geht. Und dann
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