Schlag weiter, Herz
jetzt?«, fragte Stefan.
»Ihrr geht. Ihrr komm nicht wieder. Nie mehr. Auch nich mit gutte Stoff«, sagte der Chef.
»Scheiße«, sagte Stefan. Er schien zu überlegen. Er sah auf sein Bein, verfolgte den Blutstrom bis zum tropfenden Ende der Hose. Zu Merts Überraschung winkte Stefan den Großen heran. »Hilf mir mal auf.«
Als der Große sich hinunterbeugte und ihm die Schulter zum Festhalten anbot, griff Stefan die Schnapsflasche und schlug sie ihm ins Gesicht. Stefan blockierte den Arm mit der Pistole und rammte dem Großen den verbliebenen Stumpf der Flasche zuerst ins Gesicht und dann ins Handgelenk. Es war ein Ablauf, eine schnelle Bewegungsfolge. Mert brauchte einen Moment, um zu realisieren, was geschehen war. Da war der Große schon nach hinten gefallen, die freie Hand hielt er sich aufs Gesicht. Aus dem Arm mit der Waffe, an dem Stefan hing, schoss eine Blutfontäne. Stefan wurde mit zu Boden gezogen.
Der Chef sprang auf. Doch bevor er Stefan erreichen konnte, war Mert aufgewacht, hechtete auf den kleinen Mann zu und rammte ihn in die Bar. Holz zersplitterte, Flaschen flogen, Gläser rutschten ab.
Stefan hatte die Pistole an sich gebracht und richtete sich auf. Die Waffe im Anschlag humpelte er im Kreis, wobei er alle gleichzeitig bedrohte.
»Nimm dir die Kohle«, schrie Stefan.
»Welche Kohle?«
»Irgendwo müssen die Scheißalbaner doch die Kohle haben.«
Von draußen wurde gegen die Tür gehämmert.
»Du bist tott«, stöhnte der Chef aus dem Sperrholzhaufen, der von der Bar übrig geblieben war. Stefan humpelte zu ihm hin, versuchte ihn zu treten. Als er bemerkte, dass er das auf einem Bein nicht konnte, nahm er die Waffe und schlug dem Chef mit dem Lauf auf die Stirn, dreimal, viermal.
»Wo ist die Kohle?«
Der Chef antwortete nicht. Er sah Stefan ruhig an, bereit, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Auch sein Bewacher hatte sich gefangen und versuchte sein Handgelenk mit der anderen Hand am Bluten zu hindern. Sein Gesicht war zerfetzt.
»Sollten wir nicht besser einfach verschwinden?«, schlug Mert vor. Er hatte das Gefühl, dass draußen eine Armee gegen die Tür hämmerte.
Stefan hielt dem Chef die Waffe ins Gesicht. Mert war sich nicht sicher, ob er abdrücken würde. Doch dann humpelte Stefan zum Tisch, nahm sich das Paket, steckte es in seine Jacke und gab Mert das Zeichen, die Tür aufzumachen.
Zwei Männer stürmten herein. Doch als sie Stefans Waffe sahen, erhoben sie die Hände und blieben ebenfalls gespenstisch ruhig. Um in so einer Situation nicht die Nerven zu verlieren, braucht man Erfahrung, dachte Mert. Es gruselte ihn bei der Vorstellung, wie man sich diese Erfahrung verschaffte.
Mert schob sich an den Männern vorbei, rannte durch den großen Raum, stieß die Eingangstür auf und stieg ins Auto. Er startete den Motor und beobachtete Stefan durch zwei Schriftzüge, die auf den Fensterscheiben der Kneipe klebten. Stefan wich, mit der Waffe fuchtelnd, zurück in Richtung Ausgang. Als ein Billard-Queue in Stefans Rücken krachte, sah Mert nicht, woher der Schlag kam. Stefan kippte aus seinem Blickfeld. Mert sprang aus dem Auto, rannte zurück und riss die Tür wieder auf. Der zweite Hieb traf den am Boden liegenden Stefan am Kopf. Mert sah, dass Stefan die Waffe noch umklammert hielt, während die Barfrau, die über ihm stand, zum dritten Schlag ausholte. Mert hielt seine rechte Hand dazwischen, und der Schmerz durchschoss ihn wie ein Blitzschlag. Er konnte den Queue halten, riss ihn der Frau aus der Hand und schlug ihr mit dem dicken Ende aufs Ohr. Sie taumelte zurück und verschanzte sich hinter dem Tresen. Mert schob seinen linken Arm unter Stefans Achsel und zog ihn in die Senkrechte. Stefan hob die Waffe, als könnte er die Männer, die langsam auf sie zukamen, noch treffen, wenn er wollte. Er blutete aus einer Platzwunde am Hinterkopf, seine blonden Haare verdickten sich zu roten Strähnen. Mert gelang es, ihn auf die Straße zu zerren und auf den Beifahrersitz zu schieben. Er warf den Queue gegen die Tür der Kneipe, schwang sich hinters Lenkrad und fuhr davon. Kurz darauf parkte er das Auto auf dem Seitenstreifen der Holstenstraße. Stefan stöhnte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Mert.
»Nach Hause.«
»Du musst ins Krankenhaus.«
»Kein Krankenhaus. Nach Hause«, sagte Stefan, dann sackte er weg.
Mert fuhr zum Universitätskrankenhaus Eppendorf. Die einzige Adresse, die ihm einfiel. Fast wäre er mit quietschenden Reifen in die Einfahrt zur Notaufnahme
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