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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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spät. Sie schlingerten von einer Straßenseite zur anderen und wurden nur knapp von einem Transporter verfehlt, dessen Hupen ihnen noch hinterherjaulte, als sie schon im Dreck lagen. Die Maschine kippte auf dem schmalen Schotterstreifen um und blieb liegen, mit dem Vorderrad in der Luft über der Klippe. Ali war runtergefallen und stöhnte vor Schmerzen. Er lag in einem Distelbusch, während Mert versuchte, sein eingeklemmtes Bein unter dem Motorrad hervorzuziehen. Nachdem Ali sich aufgerappelt und Beleidigungen ausgestoßen hatte, lupfte er das Motorrad und befreite Mert. Sie richteten die Maschine auf und setzten sich auf den Boden, um sich wieder zu beruhigen. Merts linkes Bein war der Länge nach aufgeschürft. Ali hatte sich bei seinem Sturz nicht verletzt, aber feine Risse von den Disteln verunstalteten sein Gesicht. So saßen sie eine Weile und blickten auf das dunkle Meer unter ihnen.
    »Der hat uns den Arsch gerettet«, sagte Ali schließlich und deutete mit dem Zeigefinger auf den Buddha.
    »Ich dachte, du bist Moslem.«
    »Ist mir egal, ob Allah oder Buddha. Ich hoffe, dass Allah heute nicht zugesehen hat, als ich Bier getrunken habe. Aber der da hat zugesehen. Und er hat uns den Arsch gerettet.« Ali begann in seiner Sporttasche zu kramen. Er wühlte seine Sachen von links nach rechts und zog eine Tüte M&Ms hervor. Er riss die obere Ecke weg, schüttelte ein paar Schokonüsse heraus und legte grüne, blaue, rote und gelbe auf die Holztheke vor den Buddha zwischen das Wasserglas und den bereits welkenden Blumenkranz.
    »Was machst du da?«, fragte Mert.
    »Opfergabe.«
    »Opfergabe für Buddha?«
    »Klar. Weil er uns den Arsch gerettet hat.«
    »Meinst du, Buddha mag die Dinger?«
    Ali schüttelte den Kopf, dann schmiss er sich ein paar M&Ms in den Mund und gab Mert die Tüte. So saßen sie da und kauten Schokonüsse, bis ihr Puls wieder in einen normalen Takt kam.
    »Meinst du, das Beste kommt noch?«, fragte Ali.
    »Was soll denn kommen?«
    »Das echte Leben.«
    »Interessiert mich nicht«, sagte Mert.
    »Du kannst ja hier noch ein bisschen weitermachen. Aber lange geht das auch nicht mehr.«
    »Und dann?«
    »Kommst du wieder zurück ins schöne Hamburg!«
    Sie standen auf und sangen »Hamburg, meine Perle, du wunderschöne Stadt«. Am nächsten Morgen brachte Mert Ali zum Flughafen.
    Nun sitzt Mert wieder hier neben dem Buddha. Er hört den Wellen zu und blickt aufs Meer. Keine Frau, keine Kinder, kein Handy, kein Computer, keine Arbeitszeiten, kein Chef, keine Schulden, keine Verträge, keine Verpflichtungen. Ein freier Mann.

38
    Da Mert oft spät von der Arbeit kam, füllte Nadja die Stunden ohne ihn. Sie las, ging arbeiten, einkaufen, hielt die Wohnung sauber, hängte Fotos in der Küche auf. Das Bild vom Hamburger Dom stellte sie hinter zwei Kerzenständer auf den Küchentisch. Es stand dort und bog sich mit der Zeit ein wenig durch. Aber es blieb, angelehnt an die Küchenwand. Es überlebte die Monate, als sie versuchten, ein Kind zu bekommen, und die Tage, an denen Nadja so niedergeschlagen war, dass sie kaum aus dem Bett kam. Es stand dort, wenn sie stritten und wenn sie sich versöhnten. Und es blieb noch dort, lange nachdem Mert ausgezogen war.
    Mert verdiente genug im Holmes Place und konnte sich seine Schichten meistens so legen, dass er zusammen mit Ali arbeitete. Seine alte Stärke war wiederhergestellt, er ging zweimal die Woche zum BC Einigkeit, wo Kalle ihn immer häufiger als Trainer einsetzte. Wenn er im Fitnesscenter arbeitete, wurde er seine überschüssige Energie an den Geräten los. Seine Kondition war nicht mehr so gut wie früher, vom Gewichteheben bekam er Kraft, aber keine Puste. Für Amateurkämpfe war Mert ohnehin zu alt, doch den Wunsch zu boxen hielt er am Glühen, um nicht in Antriebslosigkeit zu versacken. Wenn Mert zum Verbandstraining ging, wurde er oft zum Sparring gebeten, um den Jüngeren ihre Fehler aufzuzeigen. Eine Gelegenheit, seine starke Linke einzusetzen, von der sogar Gersch sagte: »Wieso hast du die nicht vor zehn Jahren schon so rausgeschossen?«
    Um seine Konditions- und Geschwindigkeitsdefizite wettzumachen, wurde Mert effektiver. Er machte keine unnötige Bewegung mehr, duckte sich bei einer Attacke nur so weit ab, dass sie ihn hauchdünn verfehlte, dann schlug er präzise zurück. Er bewegte sich durch den Ring wie ein Hai. Den Jüngeren ging rasch die Luft aus, und sie kassierten Treffer, die sie nicht kommen sahen. Mert fühlte sich besser als

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