Schlag weiter, Herz
die Antwort nicht vertrug, wenn er Nadja nach Thomas oder anderen Männern fragte. So war auch ihr zweites Zusammensein ohne Klärung immer weitergelaufen, die Fragen von damals längst verschüttet unter neuen Missverständnissen.
Hier saßen sie, tranken Wein und stellten fest, dass sie nicht nur durch eine gemeinsame Zukunft verbunden waren, sondern auch getrennt durch eine Vergangenheit. All das, was sie nicht ansprechen konnten, schob sich zwischen sie wie Panzerglas, durch das sie sich erkennen, aber nicht spüren konnten. Nach neun Tagen hatten sie Heimweh nach ihrer Wohnung und beendeten ihren Urlaub.
Als sie schon durch Deutschland fuhren und Schleswig-Holstein platt und reizlos an den Fenstern vorbeizog, kroch die Angst wieder in Mert hoch. In alles Schöne mischte sich eine Note von Abschied, so wie der Geruch von Verbranntem in der Küche haftet, lange nachdem der Topf weggeschmissen ist.
Zuerst dachte Mert, die Furcht vor den Albanern käme zurück. Aber dann sah er Nadja an, die nach einer Weile aus ihrem Buch hochblickte. Sie beugte sich nach vorne, strich ihm über die Wange und lehnte sich wieder zurück. Sie las weiter, dann sah sie Mert fragend an, kam erneut nach vorne und legte ihm die Arme auf die Schultern. Aber er ließ sich nicht trösten. Nadja klappte ihr Buch zu, setzte sich neben Mert und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Den Blick auf die Landschaft gerichtet, fragte Mert schließlich: »Was soll ich machen?«
»Was meinst du damit?«
»Was soll ich tun, damit du glücklich bist?«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
Sie setzte sich auf und drehte seinen Kopf so, dass er sie ansah.
»Du hast doch nicht gedacht, dass du mit einem wie mir endest.«
»Was heißt denn ›einer wie du‹?«
»Einer, der nichts kann.«
»Du kannst doch was.«
»Nichts außer Boxen. Und das kann ich auch nicht mehr.«
»Aber du kannst doch noch alles werden. Du bist ein junger, gesunder, starker Mann. Und ich liebe dich.«
»Ich wollte nie was anderes machen. Jetzt habe ich nichts mehr außer dir.«
»Du boxt doch, du trainierst wie früher. Du bist fit. Nur kämpfen kannst du nicht mehr. Aber alles andere liegt noch vor dir. Vor uns.«
Und Mert versuchte alles. Er ging zum Arbeitsamt, ließ sich beraten, für welchen Beruf er geeignet wäre. Er suchte nach einer Schreinerlehrstelle, stellte Bewerbungsunterlagen zusammen und ging sogar zu ein paar Vorstellungsgesprächen, bei denen er allerdings schnell feststellte, dass die Meister recht hatten mit ihrer Vermutung, er sei zu alt, um sich noch viel beibringen zu lassen.
Nach dem Training saß er mit Ali zusammen. Beide träumten davon, eine Boxschule aufzumachen. »Ein bisschen auf schick, so mit Sauna und Barbereich«, sagte Ali, »da können dann Geschäftsleute für teuer Geld Einzelstunden nehmen, und wir nehmen noch Yoga-Klassen dazu. Von der Kohle bauen wir Kämpfer auf.« Sie studierten Zeitungsannoncen nach geeigneten Räumen, aber die Zeit verging, und nichts geschah.
Nadja und er versuchten ein Kind zu bekommen. Mert hoffte auf eine Verantwortung, die ihn zum Handeln zwingen würde, auch wenn er gleichzeitig Angst davor hatte. Zuerst ließen sie es darauf ankommen. Je länger sie es erfolglos versuchten, umso penibler wurde die Planung. Nadja fing an, ihre fruchtbaren Tage auszurechnen, Mert nahm sich für die entsprechenden Zeitfenster frei. Schließlich besorgte Nadja ein spezielles Thermometer in der Apotheke, das den Eisprung anzeigte, nahm Folsäuretabletten und trank Tees, die die Empfängnisbereitschaft erhöhten.
Sie gingen gemeinsam zu Nadjas Frauenärztin, Mert ließ sein Sperma untersuchen. Nadjas Empfängnisbereitschaft wurde geprüft, alles war in Ordnung. Es gab keinen Grund, warum sie nicht schwanger wurde, außer Pech oder Glück. Wenigstens hatte Nadja in dieser Zeit ein gemeinsames Gesprächsthema mit ihrer Schwägerin. Angelika war zu einer Schwangerschaftsexpertin geworden, nachdem sie ein zweites Kind, Anna, bekommen hatte.
Mert besorgte einen Verlobungsring, den er monatelang bei sich trug, um Nadja im richtigen Moment einen Heiratsantrag zu machen. Er wollte irgendeine Art von Verbindlichkeit schaffen, falls sich ihr Wunsch nach einem Kind nicht erfüllte.
Mert machte sich gerade für die Arbeit im Holmes Place bereit, als das Telefon klingelte. Es war Felix, der nach Nadja fragte.
»Die ist noch nicht von der Arbeit zurück.«
»Danke«, dann klackte es in der Leitung.
Mert dachte an seinen letzten
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