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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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Kampf, der auch Felix’ letzter Kampf gewesen war. An Nadja und an Thomas, die im Publikum saßen. Wieder setzte dieses unangenehme Ziehen im Magen ein. Mert ging ins Schlafzimmer, öffnete Nadjas Schrank und fand das Kästchen mit den chinesischen Motiven. Er zog es vorsichtig raus, öffnete es und nahm sich ihr Tagebuch, nicht ohne sich vorher zu merken, wie es in dem Kästchen gelegen hatte. Er blätterte, fand aber die Stelle nicht, die er suchte. Dann entdeckte er den Stapel, der hinter dem Kästchen versteckt war. Elf schmale Tagebücher, über die Jahre angelegt.
    Im zweiten Buch von oben hatte Nadja eingetragen, wie Mert sie besucht und von seiner Angst berichtet hatte. »Mert hat Angst!« stand dort. In den Tagen danach hatte sie sich noch dreimal mit Thomas getroffen. »Amüsiert« stand nicht dabei, es war ja auch »traurig« gewesen. Nicht einmal, sondern dreimal.
    Mert setzte sich aufs Bett. Seine Hände sanken mit dem Buch in seinen Schoß, er starrte in den Kleiderschrank wie in ein Loch. Mert las weiter in die Vergangenheit, ging alle Bücher durch. Meistens kurze Einträge, oft nur Stichworte. In der Zeit nach der Trennung hatte Nadja kaum etwas geschrieben. Immer weiter las Mert zurück, bis er die Stelle mit der Abtreibung fand und an einem Eintrag hängen blieb. »Schwanger. M. oder M.?«
    Mert war ein einziges Mal im Stehen k. o. gegangen. Er hatte einen Treffer zur Herzspitze genommen. Sein Herz setzte aus, und Kalle war dazwischengesprungen, um ihm die Folgeschläge zu ersparen. Mert war nie etwas Unangenehmeres passiert als dieser K. o., den er bei vollem Bewusstsein hatte hinehmen müssen. Und genau so fühlte es sich jetzt wieder an. M wie Mert. Oder M wie Marcel.
    Er stapelte die Bücher sorgsam zurück und legte das letzte in das Kästchen. Auf ihre Tagebücher sprach er Nadja nicht an. Nicht nur, weil er sich schämte, in ihnen gelesen zu haben, sondern weil er wusste, was sie sagen würde. Sie waren damals nur so ungefähr zusammen gewesen, hatten nie darüber gesprochen, ein Paar zu sein, das kam später. Außerdem hatte er sie betrogen, noch lange nachdem sie schwanger geworden war und das Kind abgetrieben hatte. Durch diesen Vorfall waren sie sich schließlich erst so nahe gekommen, dass Mert begriff, dass er nicht mehr ohne sie sein wollte, selbst wenn die Zeiten hart wurden. Was hätte sie auch sagen sollen, wenn es ihr genauso gegangen war? Es stand ihm nicht zu, sich jetzt gekränkt zu fühlen. Es war eine Ewigkeit her, verjährt, eine andere Zeit. Nur dadurch, dass Mert es jetzt erst erfuhr, fühlte es sich an, als sei es gestern geschehen.
    Eine Woche später fickte Mert eine Kollegin im Holmes Place von hinten im Stehen in der Umkleide, an einem Sonntagabend, als kaum noch jemand im Haus war. Sie hatte ihm seit Langem signalisiert, dass sie jederzeit bereit dazu war. Danach ging es ihm endlich besser.

37
    Mert hockt in der Sunshine Bar und trinkt sein zweites Bier. Er hält seine Rituale ein, selbst diejenigen, die ihm nicht bewusst sind. Heute trinkt er zum letzten Mal. Samstag ist Kampfabend. Aber er kommt nicht in Stimmung. Er denkt an seinen Kampf, und wenn er sich von dem Kampf ablenken will, denkt er an alte Zeiten. Er verabschiedet sich nicht, stopft der Mamasan das zusammengerollte Geld in das Holztönnchen und verschwindet, während sie mit etwas anderem beschäftigt ist. Er setzt sich auf sein Motorrad, fährt raus aus Patong, biegt rechts ab, auf die Küstenstraße, und beschleunigt den Berg hoch. Über der Kuppe hebt sich sein Magen, er hat das Gefühl zu fliegen. Dann gleitet er in die Senke und legt das Motorrad in die Kurve, vorbei an der Phuket Shooting Range. Er richtet die Maschine schnell auf und bremst scharf, diesmal bis zum Stillstand. Er holpert über die Kurvenspitze hinaus auf den Schotter, steigt ab, tritt den Seitenständer runter, macht einen Schritt bis zur Klippe und setzt sich neben den Buddha. Die Figur ist kaum größer als Merts Unterarm. Gläser mit Wasser und Blumen stehen davor, irgendjemand bringt Buddha etwas zu trinken.
    Am letzten Abend, den Ali und Mert gemeinsam auf Phuket verbrachten, wären sie fast über die Klippe gestürzt. Mert hatte Ali dazu überredet, seinen Abschied zu feiern, und Ali, der sonst nie trank, war nach vier Flaschen Bier zu betrunken gewesen, um noch Motorrad zu fahren. Also hatte Mert sich an den Lenker gesetzt, angetrunken und ungeübt mit der Maschine. Nach der Kurve an der Shooting Range bremste er zu

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