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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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und Anna entwickelten, dann blieb ein Schweigen im Raum hängen. Ob es daran lag, dass sie selbst keine Kinder bekamen, oder an Felix, konnte Mert nicht beurteilen. Mert versuchte, das Thema klein zu halten, um das Schweigen zu vertreiben. »Das war kein richtiger Kampf.«
    »Sah aber verdammt so aus wie ein richtiger Kampf«, sagte Ali, »nur der Kopfschutz und die Handschuhe haben euch ein bisschen gestört.«
    »Ich bin froh, dass es vobei ist«, sagte Nadja. »Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe und ihr alle noch heil und mehr oder minder bei Verstand seid.« Sie zog eine zweite Flasche aus dem Weinregal.
    »Und wenn wir nun einen Sohn bekommen würden?«, fragte Mert.
    »Der macht eher Ballett, als dass er zum Boxen darf.«
    »Aber wenn er gerne will?«, fragte Ali.
    »Unser Kind soll machen, was es will. Aber Boxen würde ich schwer durchstehen.«
    »So schlimm war es doch auch nicht«, sagte Mert.
    »Reines Glück. Wenn ich nur an meine Mutter denke, was die sich immer für Sorgen gemacht hat. Die hat bei jedem Kampf ein Büschel Haare verloren, zuerst bei Vater, dann bei Felix. Das tue ich mir nicht an.«
    Wenige Wochen nach diesem Abend lernte Mert Nadjas Mutter kennen. Der alte Borau war gestorben, an einem Herzinfarkt, mit sechzig Jahren. Mutter Borau hatte ihren Mann vor einer Tasse Kaffee sitzend in der Küche vorgefunden, nachdem sie vom Einkaufen zurückgekommen war. Sie dachte, er sei eingeschlafen. Der Kaffee war noch warm.
    Nadja nahm die Nachricht gleichgültig auf. Als Mert nach der Arbeit kurz vor Mitternacht nach Hause kam, saß sie im Wohnzimmer auf dem Sofa, die Beine untergeschlagen, vor einem Glas Wein. Sie rauchte am Tisch, was sie selten tat, und berichtete, dass ihr Vater gestorben sei.
    Heinrich Borau hatte sich für den üblichen Ruhestand der Boxer entschieden: Kette rauchen, ab mittags Bier trinken und von alten Zeiten sprechen. Er lebte ungesund, so als habe seine Boxkarriere alle Disziplin aufgebraucht, die ihm für eine Lebenszeit zustand. Als der alte Borau in Frühpension ging, versuchte er, zu Hause das Regiment zu übernehmen, erklärte seiner Frau, dass sie beim Abspülen lieber Wasser ins Becken füllen sollte, anstatt es durchgehend laufen zu lassen. Er durchforstete die Zeitungen nach Sonderangeboten, um Geld zu sparen. Er saß herum und beschwerte sich über den Niedergang der Spedition, wo er als Handelsverkehrskaufmann Frachten abgewickelt hatte, vor der Wende, nach der Wende und auch noch lange nachdem kaum noch etwas geliefert oder verschickt werden musste. Er erzählte von Kämpfen, die er gewonnen, und von denen, die er seiner Meinung nach nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände oder Betrug verloren hatte. Er trieb seine Frau in den Wahnsinn und bewegte sich kaum noch aus dem Haus, außer zum Stammtisch mit seinen alten Kollegen vom Frachthof oder von Lokomotive Görlitz. Bis sein Herz nicht mehr mitmachte.
    Felix holte sie am Samstagmorgen um sechs Uhr ab, Angelika wollte die Wohnung besichtigen, die Kinder stürmten voran. Mert stand in der Tür, als Felix und Angelika im dritten Stock ankamen. So begegneten sich Mert und Felix wieder, fünf Jahre nachdem sie gemeinsam den Ring in Richtung Krankenhaus verlassen hatten. Nachdem Angelika Mert umarmt hatte, streckte Felix die Faust vor, die Mert mit seiner Faust einmal von oben und einmal von unten abklopfte.
    Angelika sah sich in jedem Raum um, lobte die Einrichtung, während Felix ungeduldig hinter ihr herging, weil er seinen Zeitplan für die Fahrt nach Görlitz gefährdet sah.
    »Lixi, wir müssen erst um zwölf Uhr da sein, ein Kaffee wird doch noch drin sein.« Die Borau-Geschwister verdrehten die Augen. Nadja wegen der Anrede und Felix, weil er sich fügen musste. Nadja kochte Kaffee und machte Kakao für Anna und Jörg. Felix und Mert überbrückten die Zeit mit einem Fachgespräch.
    »Siehst fit aus«, sagte Mert.
    »Du auch.«
    »Hast dich gehalten. Was hast du jetzt? 83, 84 Kilo?«
    »Du bist so etwa auf 90?«
    »Trainierst du noch?«, fragte Mert.
    »Ich geh viel laufen und achte aufs Essen. Nadja sagt, du arbeitest als Fitnesscoach.«
    »Immer noch besser, als dick und faul zu werden.«
    »Wohl wahr.«
    Felix war schlank geblieben, aber etwas Graues hatte sich in seine Gesichtszüge gemischt. Sie tranken den Kaffee, den niemand außer Angelika wollte, dann brachen sie nach Görlitz auf.
    Felix am Steuer, Mert neben ihm, die Frauen und die Kinder hinten. Mert beteiligte sich nicht an der

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