Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
Vom Netzwerk:
wir auch nicht, wann er wieder aufhören würde. Ich weiß, dass unserem Trainer bei diesem Gedanken körperlich übel wurde.
    Vor dem Rennen stellten wir uns im Kreis auf, legten uns gegenseitig die Arme auf die Schultern und brüllten im Chor unsere Kampfparole: »Hau rein, hau es raus, Amis fressen, Russen knacken!« Zum Glück brüllten wir so wild, dass uns niemand verstand. Es half gegen die Angst.
    Arne saß still in der Besprechung und hörte zu, bis ihn der Trainer fragte, was er dazu meine. Erst jetzt stellte unser Schlagmann seinen Blick scharf. Er sagte: »Das ganze Schnacken bringt nichts. Natürlich wissen unsere Gegner längst, wie wir unser Rennen einteilen. Wir haben es ihnen oft genug vorgemacht. Aber sie können nichts tun. Weil wir stärker sind als sie. Wir machen es wie immer.«
    Wenn Arne redete, wurde es still. Und egal, was wir vorher eingewandt hatten: Was er sagte, wurde gemacht. Arne wartete nicht einmal, bis wir antworteten. Er lehnte sich zurück. Neben sich eine Flasche Cola wie meistens. Er war weit gelaufen, um sie an einer Tankstelle zu holen. Die Dosen aus dem Getränkeautomaten an der Strecke waren 20 Pfennig teurer. Das sah er nicht ein.
    Auch der Trainer nickte nur. Er wusste, dass die Entscheidung gefallen war. Wir vertrauten darauf, dass Arne uns die Kraft für das Rennen geben würde. Wir gaben die Verantwortung an ihn ab.
    Es war nicht nur seine Kraft. Er hatte gleichzeitig Kraft und Eleganz – in der Bewegung und im Reagieren auf die Situation im Rennen. Arne hatte ein unnachahmliches Gefühl für den Schlag, den er ausführen wollte. Vom Rhythmus, vom Druckverlauf im Wasser, vom Verhältnis zwischen Durchzug und dem Nach-Vorne-Rollen. Sein Schlag war pointiert und souverän. Erprägte uns die Eleganz seines Schlages auf wie ein hochsensibler Mechaniker. Dies war seine Sprache.
    So war es auch an jenem entscheidenden Tag, als die Schraube angezogen und Arnes Stemmbrett wieder in Ordnung war. Little, inzwischen wieder an seinem Platz im Heck, gab den Befehl zum Losfahren, es ging Richtung Start. Arne packte den Riemen und tauchte ihn mit so großer Selbstverständlichkeit ein, dass wir alle aufatmeten. Ihm hatte die ganze Episode nichts ausgemacht, das sahen wir dem Spiel seiner Rückenmuskeln an. Er war Arne, der Herr der Lage.
    Meine Erinnerungen an das Rennen sind teils verschwommen und teils so überscharf, dass sie mir surreal vorkommen. Ich sehe uns noch am Start, das Wasser war unruhig und alle hatten Mühe, die Boote gerade zu halten. Irgendwie gebeugt und schicksalsergeben wartete ich auf das Startsignal, und als es kam, gab es nur noch vorwärts. Ich sehe noch klar den Amerikaner im Achter neben mir, der bei jedem Schlag seufzte. Ich höre noch den russischen Steuermann brüllen, mit einer metallischen Weltraum-Stimme. Und darüber die Schreie von Little, der uns über Megafon anfeuerte. Ich sah nur noch Arne vor mir, seinen leicht gekrümmten Rücken, seine Halsmuskeln. Ich sah sie klar und glatt, ihr gleichmäßiges, mechanisches Spiel, und geriet immer tiefer in Trance.
    Ich würde dieses Rennen am liebsten heute noch fahren. Ich will nicht ans Ziel kommen. Für mich waren es die ultimativen Momente meines Lebens, die Minuten, die mich für immer aus der Masse heraushoben. Hier wurde der beste Ali geboren, den es jemals gab, auf diesem Wasser. Es ging so leicht – wir flogen. All der Schrecken war gebannt, ging unter in unserem mechanischen Spiel, im Rauschen des Wassers, im Rhythmus unserer Bewegungen, es war kein Sport mehr, sondern Meditation, Versinken, Sich-Auflösen. Und als einzige feste Größe: Arne, deruns zeigte, wie man solch ein Rennen fahren kann: voller Eleganz und Überlegenheit, Besonnenheit und Kraft.
    Ich registrierte, dass die USA und die Sowjets knapp vor uns lagen, lange, bis zur halben Strecke, aber es bereitete mir keine Sorgen. Ich wusste, unser Moment würde kommen, und er kam, so leicht wie nie zuvor oder danach. Arne gab den Takt vor, wir legten uns ins Zeug. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass wir an den beiden Achtern vorbeizogen. Es schien, als steckten sie im Wasser fest, während wir im nächsten Gang weiterschossen. Genau so, wie Arne es vorausgesagt hatte. Unsere Gegner hatten die ganze Zeit gewusst, was wir mit ihnen machen wollten. Und jetzt geschah es.
    Um zu erfahren, wie der Wettkampf genau verlaufen war, musste ich mir später die Ergebnisliste besorgen. Anhand der Abschnittszeiten sah ich, dass unsere taktische

Weitere Kostenlose Bücher