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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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die Zähne zusammenzubeißen. Ich war sicher: Wer das ausgehalten hat, was wir uns im Alltag antaten, für den sind andere Strapazen unbedeutend. Der ist Supermann. Aber ich war kein kleines Dickerchen mehr und wusste längst, wie man sich fit hält, auch ohne Olympia. Ich wollte jetzt einen anderen Lohn. Den Sieg, den süßen Blick auf Gegner, die noch fertiger sind als ich, weil sie nicht nur körperlich leiden, sondern auch seelisch, weil ich sie plattgemacht habe. Wenn ich keinen Erfolg gehabt hätte, hätte ich sofort aufgehört. Und für den Erfolg stand Arne. Er war da. Und er war stark. Das war gut.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von uns in der Nacht vor dem Rennen ruhig geschlafen hat. Außer Arne. Wahrscheinlich.Wir wussten nicht, ob er nervös war oder nicht, weil er immer den gleichen Gesichtsausdruck zeigte – so ein neutrales nicht ganz Da-Sein, um das ich ihn oft beneidet habe. Alles schien an ihm abzuprallen. Die kribblige Stimmung, das Nervenflattern, die Angst vor dem Versagen, die Magenkrämpfe vor dem Start – das schien ihm völlig fremd zu sein. Er setzte sich hin und war ruhig. Häufig setzte er die Kopfhörer seines Walkman auf und war weg. Aber er konnte auch einfach ruhig dasitzen, mitunter lange Zeit, kein Wort reden und auch sonst keine Botschaft aussenden. Manchmal starrte er minutenlang vor sich hin, während alle anderen vor lauter Nervosität zappelten, Witze rissen und versuchten, einander auszustechen. Ich war die Geräuschkulisse, er war der Fels.
    »Arne«, rief Little ihm manchmal zu. »Hier sind wir.« Und dann wedelte er mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Aber Arne reagierte kaum. Wir waren beeindruckt.
    Am Abend vor dem Finale hielten wir die letzte Mannschaftssitzung ab, wir redeten durcheinander. Die Russen waren stark. Die Amerikaner auch. Aber wir wussten, wir waren stärker. Da war Arne, der Herr des Ergometers. Wir anderen erreichten auch eindrucksvolle Werte, wir zogen alle mehr als 400 Watt. Spitzenleute im vollen Saft. Wir waren prall vor Kraft und Selbstbewusstsein. Wir hatten die 14 Rennen alle nach dem gleichen System gewonnen: Am Anfang nicht schlechter liegen als Platz drei. Bei 1000 Meter mit 20 schnellen Schlägen die Konkurrenz pulverisieren. Und dann den Vorsprung ins Ziel bringen.
    »So langsam«, wandte Sam ein, »weiß die Konkurrenz Bescheid. Irgendwann finden sie das Gegengift. Und dann sind wir dran. Und was, wenn sie es ausgerechnet hier gefunden haben?« Sam, mein Hintermann, war unser ständiger Bedenkenträger. Besorgt fuhr er mit der Hand durch sein wildes rotes Haar. Erarbeitete fast so hart wie Arne. Das entspringe seinem Sicherheitsdenken, sagte er immer. Er brauche Kraftreserven, für den Fall, dass es ganz schlimm komme.
    Stirnrunzeln beim Trainer.
    »Was schlagt ihr vor?«
    Ich sagte, sie könnten versuchen, uns mit einem explosiven Start zu knacken. So spritzig losschießen, dass wir die Distanz unterwegs nicht mehr würden wettmachen können. Ich stellte mir vor, was passieren würde, wenn wir bei 1500 Meter merkten, dass unsere Waffe diesmal keine Wirkung hatte. Vielleicht würden wir moralisch zusammenklappen, in Panik geraten, technische Fehler machen, immer weiter zurückfallen und vom ganzen Feld gefressen werden. Ich wusste, solche Gedanken waren verboten. Die Diskussion ging weiter, keiner konnte aus seiner Haut. Konstantin, Bugmann und zäher Kämpfer, plädierte für das gewohnte Rezept.
    »Wer sagt uns denn, dass sie einfach zusehen, wie wir unser Spiel spielen?«, fragte Carol. »Wir müssen sie überraschen.« Er schaute in die Runde. Carol war ein angriffslustiger Typ, der es schaffte, seine Gegner so lange zu provozieren, bis sie ihre Kräfte in Emotionen verpulverten. Bernd nickte – die beiden waren sich meistens einig und im Zweier konstant erfolgreich. Pedro? Thomas? Unsere beiden Jüngsten warteten lieber ab.
    Der Trainer rieb sich die Stirn. Der Erfolg war ihm genauso widerfahren wie uns: Wie eine logische Folge von Ereignissen, ein kerzengerader Weg. Es musste einfach alles ineinandergreifen und zueinanderpassen, und man musste bereit sein für seine Chance. Wir waren stark und hatten Biss, aber den hatten andere auch. Damit die Tür zum Erfolg aufgeht, muss noch mehr stimmen. Vielleicht sogar die Sternenkonstellation. Und die Überzeugungskraft des Trainers. Seine Härte und seine Fortune. Und das war das Gefährliche daran: Weil wir nicht genauwussten, wieso wir gerade jetzt Erfolg hatten, wussten

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