Schlagmann
Vorgabe tatsächlich hundertprozentig aufgegangen war. Dritter nach 500 und nach 1000 Meter, nach 1500 Meter vorn und im Ziel: ebenso.
Ich selbst, Ali in der Originalversion, war ich erst wieder ein paar Minuten nach dem Zieleinlauf. Ich hörte, wie Sam hinter mir ins Wasser kotzte. Aber da dämmerte mir schon, dass wir Olympiasieger waren. Vor mir sah ich nur noch Arnes Buckel, sein Kopf war auf seine Hände gefallen. Und Little, der aufgesprungen war. Später schafften wir es alle, die Faust in die Luft zu recken, wie wir es uns vorher zurechtgelegt hatten, und das Foto war am nächsten Tag in den deutschen Zeitungen zu sehen. Meine Eltern hatten ein paar davon gekauft und für mich aufbewahrt. In einer stand die Bildunterschrift: Arne Hansen und seine Recken. Feldherr Arne. Und ich, sein Recke.
Nach einer Weile forderte uns Little auf, die Riemen wieder in die Hände zu nehmen. Wir fuhren die Strecke noch einmal ein Stück hinauf und hinab, um uns unter der leichten Belastung zu erholen. Diese Minuten auf dem olympischen Gewässer gehörtennur uns. Es gab nur uns, den Sieg und die Freude. Später erzählten sie uns, unser Trainer habe sich – vergeblich – im Bootshaus versteckt und geheult. Wir hatten alles erreicht, was wir uns in diesen Tagen gewünscht hatten, wir waren Helden und freuten uns darauf, gefeiert zu werden. Und das Beste daran: Unser Leben als Olympiasieger lag noch komplett vor uns. Es war noch völlig unverbraucht, gewonnen, um genossen zu werden. Kein Zweifel hatte es bisher berührt, die Angst, ob wir jemals diese Leistung würden wiederholen können, kannten wir noch nicht. Wir wussten noch nicht, dass ein solcher Erfolg für den Rest des Lebens süchtig macht. Wir wurden alle angefixt an diesem Tag mit der Droge. Diese paar leichten Ruderschläge auf dem Wasser aber waren vollkommen. Vollkommen.
So war es an diesem Samstag im frühen Herbst, an dem erst eine Schraube locker war und dann trotzdem alles lief. Ich könnte weinen und lachen, wenn ich daran denke, wie wir später auf das Siegerpodest stiegen. Mit weichen Knien und breiter Brust. Auf die oberste Stufe. Und winkten wie die Kinder. Wie eine der Blaujacken vom Verband uns die Medaillen umhängte und danach die deutsche Nationalhymne gespielt wurde. Dann wurden die Fahnen hochgezogen, die amerikanische, die russische und in der Mitte die deutsche.
Hinter der Tribüne warteten schon ein paar Fans und Familienmitglieder auf uns. Sie hatten sogar ein paar Flaschen Sekt und Plastikbecher besorgt, aber wir waren viel zu aufgedreht, um in kleinen Schlucken zu trinken, und schütteten uns das klebrige Zeug gegenseitig über die Köpfe.
MÜLLER,
eigene Aufzeichnungen, 2008
Das ganze Land drückte seine Ruderer ans Herz. Natürlich kann hierzulande kein anderer Sport mit dem Fußball mithalten, und auch der Rummel um Tenniscracks und Formel-1-Champions hat erheblich größere Dimensionen. Aber der Achter strahlte etwas aus, was den Berufssportlern bis heute fehlt. Dieses elitäre Image der Akademiker, die nicht nur Grips im Kopf, sondern auch Schmalz in den Armen haben. Die goldenen Ruderer standen für redliche Arbeit bei gleichzeitiger edler Gesinnung und überdurchschnittlicher Intelligenz.
Alle acht waren großgewachsen und stark wie Kohlenschipper. Acht fotogene Mädchenträume und Schwiegersohn-Typen, die später einmal ihre Familien solide würden ernähren können. Acht Leistungssportler, die angeblich Dopingmittel verachteten und sich dem Fair-Play-Gedanken verpflichtet hatten. In ihnen schien er endlich leibhaftig zu werden – der gesunde Geist im gesunden Körper. Selbst abgezockte Funktionäre wurden bei diesem Gedanken schwach, Wirtschaftsführer glaubten, sich in den Ruderern wiederzuentdecken. Hier sahen sie Sportler, die keinen Manager brauchten, keine Vermarktungsagentur und keinen Berater, der Verträge für sie aushandelte, deren Inhalt sie nicht einmal kannten. Nein. Diese acht würden selbst einmal an den gesellschaftlichen Schaltstellen sitzen.
In der Sitzreihenfolge: Konstantin van Otten, Thomas Wendt, Pedro Strauß-Henning, Bernd Cannawald, Carol Janitz, Sam Sieferl, Wolfgang Alt und Arne Hansen. Steuermann: Frank Butsch, genannt Little.
Alle Türen gingen auf für sie. Für den Rest des Jahres waren sie ausgebucht. Ihr Sponsor, der zu einem Spottpreis zu einerunglaublichen Fernsehpräsenz gekommen war, schaffte ihnen Smokings an und ließ sie auf die Gesellschaft los. Auf Bällen und Empfängen, auf
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