Schlagmann
verkaufen zu können. Und für Politiker, die zeigen wollen, was für tolle Leute ihr Land hervorbringt. Sozusagen Werbung für den nationalen Genpool.
Ali würde mir natürlich widersprechen und sagen: Da spricht eine Bankerin. Ich habe ja selbst erlebt, mit welcher Hingabe die Sportler über Jahre hinweg die Monotonie des Trainingsalltags ertragen. Wie sie ihre Familien, ihre Berufsausbildung und ihre privaten Kontakte zurückstellen, um dieses eine Ziel zu verfolgen: Medaillen. Ich habe erlebt, wie viel es ihnen gibt, Grenzen zu erreichen und zu überschreiten. Aber verstehen kann ich sie nicht.
Auch ich will etwas Besonderes sein, aus der Masse herausragen. Ich finde aber, dazu müssten andere Wettbewerbe her. Es sollte Goldmedaillen für Feuerwehrleute und Krankenschwestern geben. Für Altenpfleger und Polizisten. Für Putzfrauen und Erfinder. Für Vorbilder in Barmherzigkeit und Toleranz. Gold für Geber, nicht für Nehmer. Ich kann das beurteilen. Ich bin selbst Nehmer. Ich wäre nicht so beschränkt, meine Persönlichkeit freiwillig einem unsinnigen Zahlengewirr aus Messwerten und Rekorden zu unterwerfen. Aber sie sagen ja selbst, sie seien verrückt.
Sport macht Spaß, zum Beispiel, wenn ich es schaffe, morgens früh aufzustehen und eine Runde durch den Wald zu joggen.Oder wenn ich mit meiner Gymnastikgruppe in der Turnhalle schwitze und wir hinterher in der Kneipe noch ein bisschen quatschen. Aber das alles hat ja nichts mit Hochleistungs-Athleten tun, die ihre Lebenskraft verbrauchen, um ganz oben auf ein Podest steigen zu können, vom dem sie ein paar Augenblicke später schon wieder herunter müssen. Ich habe viele Male gehört, dass Weltmeister oder Olympiasieger im Fernseh-Interview kurz nach ihrem Triumph erklärt haben, sie müssten sich erst darüber klarwerden, was sie eigentlich erreicht haben. Das werde schon noch kommen, vielleicht, wenn es wieder ein bisschen ruhiger um sie würde. Für mich klingt das nach Enttäuschung.
Ich bin misstrauisch, wenn es darum geht, die Leidenschaft junger Menschen für ein angeblich höheres Ziel auszubeuten. Sie sollen ihren Erfolg genießen. Aber man muss bedenken, dass es in diesem Spiel nicht nur Sieger gibt. Es gibt auch die Verlierer. Es gibt die Angst vor dem Versagen. Menschen, die abstürzen. Die mit unlauteren Mitteln arbeiten und sich selbst dafür hassen. In denen irgendwann etwas zerbricht.
Ich fand trotz aller Vorbehalte, dass Ali eine gute Einstellung zu seinem Sport gefunden hatte. Er war stark, die letzten beiden Jahre seiner Karriere waren wahrscheinlich seine besten, weil er sich selbst immer besser kannte und gelernt hatte, seine Kräfte effektiv einzusetzen. Gleichzeitig trieb er sein Studium voran und verlor im Vergleich zu seinen unsportlichen Kommilitonen kaum Zeit. Im Gegensatz zu Arne, der eines Tages die Verfahrenstechnik aufgab und sich ganz aufs Programmieren verlegte.
Aber ich will die beiden nicht wieder gegeneinander antreten lassen. Das haben sie in der Realität mindestens einmal zu viel getan.
Heute wünsche ich mir, sie könnten einander verzeihen. Arne sollte Ali verzeihen, dass er ihn ausgestochen hat. Und Ali sollte Arne verzeihen, dass er ihm Schuldgefühle aufgeladen hat,die ihn überfordern. Mit den Emotionen geht es eben kreuz und quer, mit Logik kommen wir da nicht weit.
Ich rief Ali an und fragte ihn, ob die Verabredung für das Supertramp-Konzert noch gültig sei, und er sagte lachend, na klar.
Es war ein Sonntagabend im August. Ich nahm mir vor, mit ihm über Arne zu sprechen. Ich machte mir Sorgen, weil seine Merkwürdigkeiten zunahmen und ich die Chancen, eines Tages einen Zugang zu ihm zu finden, schwinden sah.
Manchmal brach der Kontakt zwischen uns einfach ab – ich hörte tagelang nichts von ihm, er ging nicht ans Telefon, und ich hatte den Verdacht, dass er nicht aufmachte, wenn ich an seiner Tür klingelte. Von außen sah ich, dass die Rollläden an seinen Fenstern geschlossen waren. In solchen Momenten wurde mir klar, dass Arne nie über seine Zukunft sprach. Andere Paare machen Zukunftspläne, richten sich ein gemeinsames Leben ein. Arne und ich trafen Verabredungen für den nächsten Abend, für die wenigen Fahrten, die wir zusammen machten, danach ging jeder wieder seiner Wege. Ich wollte Ali erzählen, wie es war, wartend neben meinem Telefon zu sitzen und mich vergeblich nach einem Zeichen der Zuneigung zu sehnen. Doch an diesem Sonntag nahmen wir beide eine Auszeit von Arne.
Ich holte ihn
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