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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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Spitzensportler. Lauter Gleichgesinnte tobten im Pool herum oder knatterten mit Scootern übers Meer oder machten irgendeinen halsbrecherischen Blödsinn. Die Verpflegung war bestens, und abends wurde gefeiert, Jungs und Mädchen, die Erfolg hatten und sich gut fühlten. Ein bisschen kreuz und quer durch die Betten – aber das störte niemanden.
    Für Arne schien es eine alkoholische Trainingswoche zu sein. Wir versuchten mitzuhalten, hatten allerdings keine Chance gegen ihn. Einer nach dem anderen machte schlapp. Arne hatte immer noch diesen Status des Stärksten, der Kult-Figur. Auch ein Besäufnis wurde so zu einer rituellen Handlung. Wir anderen wurden dann üblicherweise immer lauter, Arne immer einsilbiger, so dass am Ende kaum auffiel, wie voll er war.
    Eines Abends, als wir am Strand den Sonnenuntergang beobachten wollten, rannte er auf einmal los Richtung Meer,stürzte sich ins Wasser und kraulte in langen Zügen hinaus. Wir schrien ihm hinterher:
    »Mach keine Dummheiten. Es wird bald dunkel.«
    Gleichzeitig lachten wir über ihn und verfolgten das Schauspiel eine Weile. Als Spitzensportler waren wir es gewohnt, zu sehen, wie jemand Grenzen überschreitet. Arne schwamm und schwamm durch die Wellen, so lange, bis die Zuschauer sich wieder anderen Dingen zuwandten. Ich aber wurde plötzlich unruhig, rannte eine Treppe hoch auf die Terrasse, konnte aber auch von dort aus seinen Kopf nur noch als schwarzen Punkt sehen, der sich hob und senkte. Ich schrie, immer noch lachend:
    »Arne, komm zurück!«
    Aber natürlich konnte er mich nicht hören. Er kraulte immer weiter.
    Plötzlich spürten alle, dass das kein Witz mehr war. Ich überlegte sogar kurz, ob ich ihm hinterherschwimmen sollte, aber ich hätte ihn nicht einholen können, und es wurde schnell dunkel. Als wir ihn nicht mehr sahen, bekamen wir Angst und verständigten die beiden Animateure des Klubs. Die machten nach einer kurzen Diskussion ein Motorboot klar, fuhren hinaus und suchten nach ihm. Es war nun fast dunkel, sie hatten starke Lampen dabei und leuchteten damit übers Wasser, wir konnten die Lichtkegel vom Ufer aus sehen. Ungefähr eine Stunde später kamen sie wieder – ohne Arne. Wir beschlossen, die Polizei zu rufen, als er plötzlich vor uns stand wie ein Gespenst. Frierend, aber aus eigener Kraft an Land gekommen. Die Animateure legten ihm ein großes Handtuch über die Schultern, er stakste in Richtung Zimmer und ließ sich den ganzen Abend nicht mehr blicken.
    »Was für ein Spinner«, sagte ein Hockeyspieler. Von dem Moment an, als wir wussten, dass er in Sicherheit war, lachten wir wieder.
    Am vorletzten Tag breitete Arne sein Handtuch am Strand aus und legte sich in die pralle Sonne. Niemand ahnte, wie besoffen er war, darum kümmerte sich keiner um ihn. Am Abend lag er immer noch da. Wir entdeckten ihn neben dem Beachvolleyball-Feld. Er muss so tief ins Koma gefallen sein, dass er nicht merkte, wie die Sonne ihn verbrannte. Seine Haut auf dem Rücken war dunkelrot, seine Schultern sahen aus, als wären sie durchgebraten. Er stand auf, schwankte ein bisschen, blinzelte uns an und war total benommen. Seine Vorderseite war weiß wie Milch. Wir alarmierten sofort den Hotelarzt, der ihn mit kühlender Salbe versorgte. Arne hatte großes Glück. Ein großflächiger Sonnenbrand ist nicht ungefährlich. Gott sei Dank bekam er kein Fieber. Die Schmerzen, die Arne an den verbrannten Hautflächen litt, möchte ich mir nicht vorstellen. Später bildeten sich auf seinem Rücken mit Wasser gefüllte Brandblasen.
    Die Erinnerung an Arnes Eskapaden brennt immer noch. Vielleicht sogar stärker als damals. Irgendwie waren wir aber doch alle Irre. Wer schindet sich denn schon freiwillig wie ein Galeerensklave in einem Sport, in dem es um nichts geht als ein paar Trophäen und die Ehre? Ich kenne keinen Ruderer, der durch seinen Sport reich geworden ist. Darum ging es uns nie. Wir wollten etwas ganz Großartiges vollbringen, wollten beweisen, wie toll wir waren. Wir waren Elite, und das fühlte sich gut an. Ja, eine Elite.
    Arne soll mich endlich gehen lassen. 15 Jahre Grübeln müssen genug sein.

MÜLLER,
    eigene Aufzeichnungen, 2008
    In meinem Büro bin ich zu Hause. Da steht ein altmodischer Aktenschrank aus Holz mit zwei Rolltüren aus hellen Latten, die sich mit angelaufenen Messingschlüsseln verschließen lassen. In diesem Schrank befindet sich mein Archiv. Es gibt mehrere Reihen mit Ordnern, in denen ich alle meine Texte abgeheftet habe.

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