Schlagmann
mit meiner Ente ab, der Sommertag war warm und klar, das Verdeck hatte ich zurückgerollt, und wir genossen den Fahrtwind. Alis Frisur – er trug nach der damaligen Mode Gel im schwarzen Haar – löste sich sofort auf, und er lachte darüber. Sein weißes Hemd flatterte, als ich zu ihm herübersah. Er erzählte mir von seinem Praktikum im Krankenhaus und den Krankenschwestern, die sich alle einen angehenden Arzt angeln wollten und die seiner Meinung nach alle hinter ihm her waren. »Warum sich also festlegen?«, fragte er augenzwinkernd. Ich musste mir Mühe geben, auf die Straße zu achten, weil er so lustig war.
Denkt er noch an mich? Was erzählt er denn? Hat er die alte Geschichte auch noch nicht abhaken können? Es ist eigentlich lächerlich: Meine beiden Ehemänner sehen eher Ali ähnlich, nicht Arne. Der zweite hatte sogar wirklich einen arabischen Vater.
Mehr als zehn Jahre dürfte es her sein, dass Ali und ich uns zum letzten Mal gesehen haben. Ein trauriger Abschied war das. Damals hatte es eine der ehrgeizigen Krankenschwestern gerade geschafft, ihn vor den Altar zu locken. Ob er noch mit ihr zusammen ist? Er sah ein bisschen ramponiert aus. Wahrscheinlich arbeitete er zu viel, wie viele Ärzte.
An jenem verzauberten Abend mit Supertramp aber war er topfit. Ich hatte Spaß daran, ein bisschen mit ihm anzugeben. Wir waren so wunderbar normal an diesem Tag. Ich war zu jener Zeit ein großer Fan von Supertramp, hatte alle Platten zu Hause und hörte sie oft. »It’s raining again« singe ich heute noch manchmal vor mich hin, wenn ich geknickt bin. »Come on you little fighter«. Das reicht schon, um meine Abwehrkräfte zu aktivieren. Ich brauche nicht viel, um fröhlich zu sein, und an jenem Tag, an dem ich eigentlich ein Arne-Problemgespräch hatte führen wollen, genügte mir ein gutgelaunter Ali.
Ich hatte einen Picknick-Korb gepackt mit Schinkenbroten und hartgekochten Eiern, mit Obstsalat und Wein – ich hatte sogar daran gedacht, ihn in eine Plastikflasche umzufüllen, weil Glasflaschen verboten waren. Es war später Nachmittag, die Sonne schien immer noch warm, stand aber schon schräg und ließ das Stadion golden leuchten. Es gab keine Platzkarten, und wir setzten uns auf die Tribüne neben ein Geländer, wo wir bequem unser Picknick aufbauen konnten und Ali genug Raum hatte, um seine langen Beine auszustrecken. Die Abendstimmung war malerisch, die Musik hatte noch nicht begonnen und wir redeten ohne Pause, seit wir uns vor dem Auto begrüßt hatten.
Ich erklärte ihm, dass er zugunsten von Arne auf den Achter-Schlagplatz hätte verzichten müssen.
»Nun hast du deinen Willen, aber einen Freund verloren«, sagte ich. »Leuchtet dir das nicht ein?«
Ali lachte.
»Glaubst du, das hätte Arne gefreut? Er will keine Geschenke. Er will sich qualifizieren, genau wie ich.«
»Ihr macht euch verrückt wegen ein paar Fetischen«, sagte ich. »Warum kauft ihr euch nicht einfach eure Medaillen im Fachhandel, das würde viel weniger Anstrengung kosten.«
Er lachte wieder.
»Ihr Sportler habt doch keine Ahnung, welches Ausbeutungssystem hinter all dem Geschwätz von den gesellschaftlichen Vorbildern steckt.«
Er sagte, ich sei eine Theoretikerin.
»Für mich ist es nicht nötig, alles, was ich tue, begründen zu können. Bewegung ist für mich Leben. Und Talent ein Geschenk des Himmels. Und Talent verlangt nach Ausprobieren. Ich will mich vergleichen und andere ausstechen.«
»Aber wozu?«
Ali fasste meinen Arm.
»Für mich macht es keinen großen Unterschied, ob Mozart nun komponiert, Rembrandt ein Bild malt oder Arne einen Ruderschlag ausführt. Zugegeben, alle drei haben ein konkretes Ziel vor Augen. Mozart will den Ehrgeiz seines Vaters zufriedenstellen, Rembrandt seinen Lebensunterhalt verdienen. Und Arne will Olympiasieger werden. Einmal, und dann noch einmal. Aber im Grunde tun sie es aus einem anderen Grund.«
»Was soll denn das für ein Grund sein?«
»Mozart, weil er als Musiker, Rembrandt, weil er als Maler und Arne, weil er als Ruderer geboren wurde. Es gibt eigentlichnur einen Grund, warum ein Mensch eine bestimmte Leistung erbringen will. Weil er es kann.«
»Und ich? Was kann ich?«
»Keine andere sitzt so elegant auf einer Betonstufe wie du. Und das ganz ohne Grund.«
»Und du?«
Er lachte schon wieder.
»Da fragst du noch? Ich bin Ali, der Weise.«
»Und all die anderen?«
»Ich bin sicher, dass das Gleiche auch für Macht-Menschen, für Politiker, Steuerberater oder
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