Schlagmann
Chirurgen gilt. Es sei denn, sie machen einen schlechten Job.«
Alis Ansichten gefielen mir. Mir fielen meine vielen Versuche ein, eine eigene Rolle im Leben zu finden. Warum ich wohl so viel Angst vor einer Festlegung hatte? Wofür war ich eigentlich geboren außer zum eleganten Sitzen?
Das Gespräch mit Ali beschäftigte mich so, dass es mich beinahe störte, als die Vorgruppe anfing zu spielen. Ich versuchte sogar noch eine Weile, ihm meine Ansichten zuzuschreien, und er antwortete mir auch, aber ich verstand ihn kaum noch, und schon nach kurzer Zeit wurde ich heiser.
Als Supertramp zu spielen anfing, war mir alles andere erst einmal gleichgültig. Ich sprang auf und klatschte wie wild, Ali stand neben mir und klatschte auch, wir zogen die Schuhe aus und fingen an zu tanzen, die Musik begeisterte uns, wir tanzten zusammen die Treppen rauf und runter, und wir lachten laut. Andere Leute fingen an, uns anzufeuern, tanzten hinter uns her, und ich wusste genau, wir beide sahen beneidenswert aus, wie ein glückliches und sorgloses Paar. Ach, wie schön war das! Die Sonne versank hinter der Tribüne gegenüber wie ein purpurner Fußball, während im Stadion die Scheinwerfer langsam angingen, und wir machten uns gegenseitig aufmerksam auf das dramatischeBild. Ich schwitzte, Schweißtropfen liefen mir unter meiner Bluse am Körper hinunter. Auch Alis Hemd hatte unter den Achseln große nasse Flecken. Er legte lachend den Arm um meine Schulter, ich atmete tief ein. Er roch gut.
Das Konzert dauerte ungefähr bis Mitternacht, die Band spielte noch zwei Zugaben, danach wandten wir uns wieder dem Picknickkorb zu. Das Essen und der Wein waren noch unberührt, aber jetzt hatten wir Hunger. Um uns herum standen die Leute auf, packten ihre Sachen ein und machten sich auf den Heimweg. Ich suchte meine Sandalen, fand aber erst einmal nur eine.
»Lass uns warten, bis die Leute weg sind, dann taucht die andere wieder auf«, sagte Ali.
Wir setzten uns dicht nebeneinander. Im Licht der Scheinwerfer holte ich die Trinkflasche heraus, öffnete sie und trank einen großen Schluck Rotwein. Dann reichte ich die Flasche an Ali weiter, und der trank auch. Wir bissen in die Brote und kauten ungeniert. Ich erzählte ihm, dass ich das Studium der Kunstgeschichte endgültig aufgegeben hatte.
»Ich habe erkannt, dass ich langsam die Verantwortung für mich selbst übernehmen muss.«
»Na also«, sagte Ali.
»Ich habe ein langes Gespräch mit meinem Vater geführt. Der ist der Ansicht, dass ich über meine Zukunft selbst entscheiden muss. Aber natürlich hat er mir vorgeschlagen, Volkswirtschaft zu studieren und später in der Bank anzufangen.« Ich versuchte, die Stimme meines Vaters zu imitieren: »Falls meine Enkelkinder dir dazu Zeit lassen.«
»Das klingt doch gut«, sagte Ali.
Ich knüllte ein Butterbrotpapier zusammen. »Es fällt mir schwer, ausgerechnet den Weg zu wählen, der so klar vor mir liegt.«
Er grinste.
»Das wundert mich nicht. Mit Logik kann man bei dir sicher nicht viel erreichen.«
Ich gab ihm einen Klaps auf den Arm.
»Kannst du meine Probleme bitte ernst nehmen?«
Er sagte: »Du hast wohl großen Respekt vor deinem Vater?«
Ich nickte.
»Hast du vielleicht Angst, ihn zu enttäuschen, wenn du in sein Unternehmen einsteigst?«
Das war schon sein zweiter verblüffender Redebeitrag an diesem Abend.
»Meistens«, sagte Ali, »ist die einfachste Lösung auch die richtige. Das ist in der Medizin wie im Rest des Lebens.«
Ich fragte ihn, ob es ihm auch so unangenehm sei, auf eine bestimmte Rolle festgelegt zu werden.
»Ist es denn so wichtig, was die Leute von dir denken?«
»Sie sollen mir die Freiheit lassen, alles zu sein, und zwar wann immer ich will.«
Ali lachte.
»Die Pose der Rebellin steht dir jedenfalls gut.«
Ich fragte ihn, wie er sich seine Zukunft vorstelle. Er sagte, er werde seine Sportlaufbahn in einem Jahr beenden. Und dann?
»Irgend etwas Spießiges«, sagte er. »Ich träume von einem Reihenhäuschen mit einem Basketballkorb davor. Und drinnen sollen Kinder lachen. Und du?«
Ich hatte keine Ahnung und wunderte mich, dass Alis konventionelle Vorstellung sich auf einmal so gut anhörte.
»Es soll einfach alles schön sein«, sagte ich vage. »Ich will Ja zu meinem Leben sagen.«
»Ach so«, sagte er. »Für dich soll es rote Rosen regnen. Mit Arne wird das nicht gehen.«
Ich ließ meinen Blick über die nun leere Tribüne schweifenund entdeckte zwischen einer zerknüllten Plastiktüte
Weitere Kostenlose Bücher