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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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und einem leeren Bierbecher meine zweite Sandale. Im gleichen Moment hatte auch Ali sie gesehen. Er stand auf, holte sie und verbeugte sich galant.
    »Prinz Ali erbietet sich, Prinzessin Aschenputtel ihren Schuh anzulegen«, sagte er.
    Dann nahm er meinen schmutzigen Fuß und zog mir die Sandale an.
    Ich sagte: »Die Kutsche wartet schon.«
    Wir packten den Picknickkorb ein und gingen los, während im Stadion das Licht immer schwächer wurde. Als wir im Auto durch die Sommernacht sausten, sangen wir laut »It’s raining again«.
    Mir war leicht ums Herz, nach langer Zeit einmal wieder, und ich wollte Ali das gerade sagen, als er selbst anfing zu reden.
    »Es ist schön, ein bisschen mit dir zu lachen.«
    Und schon hörten wir zu lachen auf. Arne schien plötzlich zwischen uns getreten zu sein. Ich glaube, wir spürten beide, wie unbeschwert das Leben ohne ihn sein konnte. Wie leicht unser Schritt wurde, wenn wir die Last ablegten und uns einmal uns selbst zuwandten. Aber Arne ließ mich nicht lange durchatmen, er war wie eine Zange. Leicht beklommen verabschiedeten wir uns voneinander.
    Während ich im Wohnheim meine Schlüssel herauskramte, fragte ich mich, warum ich es immer noch nicht geschafft hatte, Arne nur einen einzigen Beweis dafür zu entlocken, dass er mich gut fand. Komisch, dass ich das gerade in diesem Moment dachte. Ich öffnete automatisch den Briefkasten und fand darin eine Ansichtskarte, die eine Backsteinkirche zeigte. Ich starrte sie ungläubig an. Auf der Rückseite standen nur fünf Worte: Du fehlst mir, Lütt Deern. Und darunter, krakelig, beinahe unleserlich: Arne. Dazu eine liegende Acht.
    Als ich schlafen ging, legte ich die Karte unter mein Kopfkissen. Später klemmte ich sie an meinen Spiegel, und noch später versteckte ich sie in meinem Schreibtisch. Ich habe sie heute noch.
    Es gab keinen Ausweg. Ali und ich ahnten beide, dass Arne mit vollen Segeln auf seinen ganz persönlichen Abgrund zusteuerte. Er hatte uns nicht gebeten, auf diese unheilvolle Reise mitzukommen, wir versuchten auszusteigen, aber wir schafften es nicht. Er war wie ein Captain Ahab ohne Wal – und wir waren seine Matrosen.

ALI,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 1. Juli 2008
    In der Nacht vor der Entscheidung rüttelte ein Frühjahrssturm die ganze Stadt durch. Ich hörte, wie draußen ein Fensterladen an die verputzte Mauer schlug, in unterschiedlichen Abständen, so dass ich immer wieder glaubte, nun sei es vorbei mit dem Lärm und leicht eindöste – und dann wieder aufgeschreckt wurde. Mir war klar, dass ich aufstehen und hinausgehen müsste, um den Laden zu befestigen, aber in meinem Bewusstseinszustand zwischen Traum und Wachsein war ich nicht in der Lage, mich aus dem Bett zu erheben. Regentropfen wurden gegen die Scheiben geschleudert. Die Tanne vor der Eingangstür ächzte, die nassen Büsche schlugen gegen das Terrassenfenster. Ich wohnte damals noch im Haus meiner Eltern, in einem Apartment mit Zugang zum Garten, und kannte jeden einzelnen Strauch, der jetzt vom Wind gebeutelt wurde. Der Sturm riss mit einer Aggressivität an allen Gegenständen und Pflanzen, dass die Nacht voll war von Geräuschen des Zerbrechens, Zerschellens, Kaputtgehens.
    Ich musste fit und ausgeschlafen sein für die große Kraftprobe, aber je mehr ich mir das einredete, desto wacher fühlte ich mich. Schließlich knipste ich die Nachttischlampe an, ging pinkeln im schwankenden Licht einer Straßenlaterne. Danach schaffte ich es, mir ein paar Sachen überzuziehen und hinauszugehen, um den Laden zu richten. Nach wenigen Sekunden war ich durchnässt. Bloß nicht erkälten, dachte ich, klemmte so schnell wie möglich den Haken fest und hastete zurück. Ich föhnte mir sogar rasch die Haare.
    Als der Wecker klingelte, fühlte ich mich, als wäre ich in Einzelteile zerfallen. Um rechtzeitig zur Regattastrecke zu kommen,musste ich so früh aufstehen, dass es mir unmöglich war, etwas zu essen. Ich füllte meine Thermoskanne mit heißem Wasser und löste darin eine Elektrolyt-Tablette auf. Die packte ich zusammen mit ein paar Bananen in meine Sporttasche. Dort hatte ich am Abend zuvor schon alle anderen Utensilien deponiert. Als ich das Haus verließ und zu meinem R4 ging, wehte immer noch ein starker Wind, aber Sturmstärke hatte er nicht mehr. Die Straße lag voll mit Zweigen und Ästen. Beim Nachbarn war eine Robinie in der Mitte auseinandergerissen worden. Fast wäre ich in die Scherben eines Terrakotta-Topfs

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