Schlagmann
Seine beiden Assistenten saßen noch drin. Ich setzte mich nicht einmal hin, der Trainer auch nicht. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, verschränkte die Arme vor seinem Bauch und sagte: »Ich halte es für das Klügste, die Frage gleich zu klären.«
»Welche Frage?«
Der Trainer steckte die Hände in seine Jackentaschen. »Das weißt du genau.«
»Nein«, sagte ich trotzig. »Das weiß ich nicht. Was will Arne von mir?«
»Du musst das verstehen. Arne gibt nicht nach.«
Das ärgerte mich.
»Dann gebe ich auch nicht nach.«
»Ich will nicht, dass in den kommenden Monaten ein Zwist zwischen zwei starken Leuten im Boot ausgetragen wird. In diesem wichtigen Jahr können wir uns keinerlei Reibungsverluste leisten. Also lass es uns klären, wie man das unter Sportlern macht: auf dem Wasser.«
Am kommenden Freitagvormittag, sagte er, sollten wir beide an einem Regattaplatz in der Nähe erscheinen – dort seien am Wochenende für ein paar kleinere Rennen eine Strecke abgesteckt, Bojen ausgelegt und ein Ponton für den Start verankert, die wir nutzen könnten. Es werde einen Zweikampf geben zwischen Arne und mir. Im Einer über 2000 Meter. Es sei dem Trainerteam bekannt, dass wir beide ausreichend Übung in dieser Bootsklasse hätten.
»Und dann?«, wollte ich wissen. »Was soll das bringen?«
Der Trainer sagte, Arne habe gefordert, ab sofort auf der Schlagposition zu sitzen.
»Er behauptet, er sei stärker als du.«
»Aha«, sagte ich spöttisch. »Aus diesem Grund war mein Zweier beim Testrennen auch schneller als seiner.«
»Er sagt, der Rückstand sei nur durch seinen schwachen Partner zustande gekommen.«
Ich lachte und hörte selbst den unguten Ton.
»Tut mir leid«, sagte Scholz. »Ich weiß, dass ihr euch schon einmal nähergestanden habt als heute. Aber so ist der Sport.«
»Willst du damit sagen, dass es am Freitag um den Schlagplatz bei Olympia geht?«
Der Trainer schüttelte den Kopf. »Garantien gibt es nicht. Für keinen.«
Im Gedanken an das Rennen begann ich, meine Oberschenkel zu lockern. Dann eben die harte Tour. Damit waren wir schließlich groß geworden. Für immer Rivalen und darauf konditioniert,uns zu messen. Ich verwandelte mich innerlich in einen Westernhelden, der zur Schießerei an High Noon herausgefordert wird. Ich wusste jetzt, was ich wollte: beweisen, dass ich stark genug war, den großen Arne zu schlagen, Mann gegen Mann. Noch vor zwei Jahren hätte ich es nicht gewagt, eine solche Herausforderung anzunehmen. Inzwischen aber hatten sich meiner Ansicht nach unsere Formkurven gekreuzt. Schade für ihn. Aber was konnte ich dafür?
Ich akzeptierte den Vorschlag, packte meine Sachen und ging. Als ich an die Treppe zum Parkplatz kam, etwa zehn breite, glatte Steinstufen, sah ich Arne hinuntergehen. Er schien es eilig zu haben und nahm die Stufen mit schnellen Schritten. Neun flüssige Tritte hatte er mit schlenkernden Armen bereits hinter sich gebracht. Auf der zehnten Stufe sah ich ihn leicht, ein ganz kleines bisschen, stolpern. Oder habe ich mir das nur eingebildet? Ich glaube, er kam kurz aus dem Rhythmus, und ich dachte: Hey, hat er Zweifel?
Anja schaute mich am Abend, als sie Arne abholte, stirnrunzelnd an, sagte aber nichts.
Der Freitag war schnell gekommen. Arne schraubte bereits an seinem Einer herum, als ich auf den Bootsplatz kam. Er schien ungewöhnlich blass. Sein Gesicht war schmal und kantig und die Wangen ein bisschen eingefallen. So, als hätte er gerade eine Magenverstimmung überstanden. Oder einen Kater?
Als ich in den Umkleideraum kam, sah ich dort eine leere Bierflasche stehen. Ich überlegte, ob das wohl nur ein Zufall war. Oder ein Psycho-Trick, um mich in Sicherheit zu wiegen. Obwohl: So etwas sah Arne eigentlich nicht ähnlich. Ich verwarf den Gedanken. Der alte Respekt für unseren Stärksten war noch da. Er ist perfekt vorbereitet. Arne ist der Erfinder der Härte und Askese.
Das Wasser war dunkel und aufgewühlt, kleine, unfreundlicheWellen klatschten ans Ufer. Dort sammelten sich Laub und Ästchen, die der Sturm in der Nacht abgerissen hatte. Ein kühler Wind drang durch meine Jacke, ich spürte den Widerwillen in mir wie eine gezogene Handbremse und atmete tief durch, um sie zu lösen.
Arne kam nicht mehr in meine Nähe, wir gaben uns nicht wieder die Hand. Ich ging ins Bootshaus, um meinen Einer zu holen. Es war alles vorbereitet. Auf dem Steg stand der Trainer. Zwei aus der Mannschaft sorgten am Start dafür, dass es fair
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