Schlagmann
zuging. Sie sollten die Bootsenden festhalten und das Startsignal geben.
Als wir in die Boote stiegen, schauten wir einander nicht an. Ich versuchte, mich ganz auf das Rennen zu fokussieren. Ich wusste, nun zählten allein meine Kraft und mein Willen. Und doch streifte mich für einen Moment ein düsterer Gedanke. Arne, dachte ich. Arne, mein Freund und Kamerad. Ich spürte immer noch die alte Verbindung zu ihm. Und er? Fühlte er überhaupt noch etwas?
Wohin würde uns ein solcher Kampf führen? Ich hatte nie Arnes Rivale sein wollen. Ich war sein Bewunderer und wollte ihn nicht stürzen sehen. Er selbst hatte mich auf dieses Wasser zitiert und mir diese Rolle gegeben. Ich musste aufpassen. Emotionen machen schwach.
Ich ruderte ein Stück vor Arne zum Start und konnte in sein Gesicht sehen. Aber da war nichts. Ich schüttelte den Kopf und sammelte mich. Jetzt ging es ums Ganze. Da mussten wir durch.
Natürlich hatte ich mir überlegt, wie Arne vorgehen würde. Ich nahm an, dass er seinem alten Erfolgsprinzip folgen würde: am Start nicht unnötig Kraft verschwenden, auf den zweiten 1000 Metern seine körperliche Überlegenheit ausspielen. Ich kannte das ja. Und ich versuchte, den Gedanken an seine unwiderstehlichen Spurtschläge zu verdrängen. Andernfalls hätte ichvielleicht doch Angst bekommen vor diesem Zweikampf, mit dem er mich fertigmachen wollte. Genau, dachte ich, er will mich fertigmachen! Dieser Gedanke lud auf einen Schlag meine Batterien wieder auf.
Arne startete wie ein Verrückter. Er ächzte, als er loslegte mit einer vernichtend scheinenden Wucht, und lag sofort in Führung, doch das schien ihm noch längst nicht zu genügen. Ich hörte ihn hinter mir, das Rauschen des Wassers, das Vor- und Zurückrollen des Sitzes, und fragte mich, ob er sich so sicher fühlte, so stark, dass er dieses ungeheure Anfangstempo wagte. All die früheren Diskussionen gingen mir durch den Sinn, ich sah ihn vor mir bei der Mannschaftssitzung vor dem olympischen Finale. Als er lange schwieg und zuhörte, wie alle, einschließlich mir, plötzlich kalte Füße bekamen und an unserer Renntaktik zu zweifeln begannen. Und wie er am Ende aufblickte und uns erklärte, dass die Konkurrenz auch diesmal nichts gegen unsere Stärke würde ausrichten können, ganz egal, ob sie unsere Renneinteilung kannte oder nicht. »Sie können nichts tun«, hatte er damals gesagt, »weil wir stärker sind als sie.«
Und jetzt? Was hatte Arne dazu bewogen, von seinem Schema abzuweichen? Fühlte er sich
noch
stärker als damals? Glaubte er, mich überrumpeln zu können? Oder zweifelte er etwa an sich selbst?
Ich entschied mich für die dritte Variante, aber es war schwer, ruhig zu bleiben. Arne hatte rasch eine halbe Länge zwischen uns gelegt, ich sah sein Heck vor- und zurückschnellen bei jedem seiner Schläge, sagte mir aber, dass ich eines auf keinen Fall durfte: mich selbst kaputtmachen.
Die Trainer und Athleten am Ufer behaupteten später, Arne habe auf den ersten 500 Metern mit Sicherheit den Streckenrekord gebrochen, wenn es darüber Aufzeichnungen gegebenhätte. Little wiederum, der unseren Zweikampf auf dem Fahrrad verfolgte, wollte gesehen haben, dass sich Arne bei ungefähr 750 Metern während des Ruderns übergeben musste. Ich selbst merkte davon nichts – ich war bereits weggetreten, abgetaucht in mein eigenes Rennen, das ich nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten wollte, gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Es war schwer, mich nicht provozieren zu lassen, aber ich fühlte, dass ich ihn auf diese Weise würde knacken können. Einfach mein Ding machen. Gar nicht auf ihn achten, so lange, bis der Moment kam, in dem er einbrach.
Und so war es. Das Gefühl, bei etwa 1500 Meter an ihm vorbeizuziehen, gab mir neue Kraft. Er schien plötzlich stehenzubleiben, es wirkte, als verpuffte seine Energie irgendwo in den Rudern und im Wasser, statt weiter Vortrieb zu erzeugen. Ich beschloss, mich nicht irritieren zu lassen und die Spannung nicht aufzugeben. Er sollte keine Chance haben, mich etwa zu täuschen und noch einmal zuzulegen. Ich knüppelte weiter wie ein Idiot, wurde blind und taub für alles um mich und kämpfte mich ins Ziel. Dann erst sah ich, dass er praktisch aufgehört hatte, Druck zu machen. Er ruderte die letzten Meter, als müsse er seinen Wagen in der Garage parken. Ich dachte: Jawoll!
Als ich wieder klar sehen konnte, erkannte ich in seinem Gesicht das Ausmaß der Niederlage. Ja, dachte ich. Das hast du nun davon. Ich
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