Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
Vom Netzwerk:
getreten, der neben dem rechten Vorderreifen meines Autos gelandet war. Die Luft roch frisch und feucht. Mir war ein bisschen übel.
    Eigentlich war ich sauer. Ich legte auf dieses Rennen, zu dem ich am Vormittag antreten sollte, keinen Wert. Meiner Meinung nach quälte ich mich schon ausreichend bei den Pflichtterminen und hatte keine Lust auf diesen Showdown für Schlagleute. Es war Arne, der dafür verantwortlich war, und ich war der Meinung, dass er uns das hätte ersparen müssen. Aber es war so ziemlich das Merkwürdigste geschehen, was wir uns vorstellen konnten, und darum erreichte er sein Ziel: Arne hatte angefangen zu reden. Er konnte es also offenbar doch. Logischerweise hat ihn nur ein Thema dazu bringen können, sein Trappisten-Gelübde zu brechen: der Sport.
    Oder ging es noch um mehr als die Führungsrolle im Boot? Ging es insgeheim auch um Anja? Er verlor kein Wort darüber. Möglich, dass mir Anja als Trophäe sogar lieber gewesen wäre als ein Platz auf Schlag. Aus heutiger Sicht mit Sicherheit.
    Im Herbst hatten wir beschlossen, uns endgültig zu trennen. Den Zweier Hansen/Alt sollte es nie wieder geben. Wir schüttelten uns in Gegenwart der Trainer die Hand – wir hielten das beide für unnötig, aber da die Mannschaftsleitung es verlangte, waren wir bereit dazu. Danach tat ich mich mit Sam zusammenund Arne sich mit Konstantin. Aufgrund unserer Vorleistungen hatten wir kein Problem, gute Partner zu finden, wir waren schließlich zwei berühmte Wegweiser zum Erfolg. Alles lief glatt. Sam und ich gewannen den Frühjahrstest knapp vor Arne und Konstantin. Es war Olympiajahr, und wir hatten uns im Winter noch einmal alles abverlangt. Zum ersten Mal glaubte ich daran, dass ich meine Laufbahn von Arne vollständig abkoppeln konnte, und das gab mir zusätzlichen Antrieb. Er schien zu allem entschlossen, und er trainierte mehr und härter denn je, der Kraftraum war zu dieser Zeit ohne ihn kaum mehr vorstellbar. Seit er sich seine Haare hatte wachsen lassen und mit einem Stirnband zusammenhielt, sah er aus wie ein Achilles im Sporttrikot.
    Anja ließ sich häufiger am Stützpunkt sehen als zuvor. Sie erschienen sogar zusammen auf der Gartenparty eines Vereinskameraden. Beide tranken nur Orangensaft. Wir wechselten kein einziges Wort.
    Alles, was unserer Meinung nach noch offenblieb, war die Frage, wer von uns beiden bei den Olympischen Spielen der Schlagmann sein würde. Keiner von uns sprach darüber. Wir taten so, als wäre uns selbst die Antwort längst klar. Und außerdem auch nicht besonders wichtig. Er oder ich? Wir waren beide stark. Beim ersten Training im Achter allerdings war ich es, der gegenüber dem Steuermann saß und den Schlag vorgab. Arne auf Position fünf. Klar ist: Das war nur ein Hinweis. Schließlich kann sich in einem Achter bis kurz vor der Regatta noch alles ändern außer der Anzahl der Ruderer. Jeder kann rausfliegen, die Positionen können wechseln, der Trainer kann jederzeit einen neuen Schlagmann ausprobieren. Wenn das Ergebnis stimmt, sind alle einverstanden bis auf die jeweiligen Verlierer, denen möglicherweise ein solches Wechselmanöver den Höhepunkt der Karriere vermasselt. Aber wer fragt hinterher schon nach denen, die am Ufer geblieben sind?
    Arne hätte also abwarten können. Vielleicht wäre alles in seinem Sinne gelaufen. Aber er verlor die Nerven und fing an, sich auf seine karge, aber unnachgiebige Weise zu beschweren. Beim Steuermann. Beim Physiotherapeuten. Beim Kantinenwirt. Er fand, er hatte ältere Rechte als ich. Er pochte auf seinen Titelgewinn im Vierer. Er sagte, er hätte auch damals auf seinen Stammplatz im Achter gehört. Stimmt doch, fragte er. Nech?
    An einem Mittwochabend sah ich ihn zum Trainerzimmer gehen. Er klopfte, wurde hereingerufen und kam lange Zeit nicht mehr heraus. Ich setzte mich mit einer Flasche Wasser vor die Tür und versuchte, irgendetwas mitzubekommen, es waren aber nur unverständliche Worte zu hören. Zwischendurch schien es mir sogar, als würde Arne laut. Die anderen Stimmen klangen beruhigend. Ich vernahm das Hin- und Herschieben von klirrenden Kaffeetassen auf einem hölzernen Tisch. Das ganze Gespräch dauerte schätzungsweise eine Stunde.
    Schließlich wurden Stühle gerückt. Arne kam als Erster durch die Tür. Ich weiß nicht, ob er mich bemerkte, denn er hatte seine Kapuze wieder einmal tief ins Gesicht gezogen. Er ging weg, ohne mich anzusehen. Dann erschien Scholz. Er fragte mich, ob ich kurz hereinkommen wolle.

Weitere Kostenlose Bücher