Schlagmann
nichts dagegen gehabt, wenn sie meine Freundin gewesen wäre und nicht Arnes. Ich drückte sie an mich und spürte ihre zarten Knochen, sie fühlte sich zerbrechlich an. Und sie wehrte sich nicht, im Gegenteil, sie hielt sich an mir fest. Ich musste mich ein bisschen hinunterbeugen, weil sie so viel kleiner war als ich, und da merkte ich, dass sie weinte.
»Ich schaffe es nicht«, sagte sie. »Er lässt mich nicht.«
Ich nahm ihr mit einer Hand den lächerlichen Regenhut vom Kopf und legte ihn auf die Planen. Dann strich ich ihr übers Haar.
»Was schaffst du nicht?«
»Ich kann ihn nicht zum Reden bringen. Mit ihm stimmt etwas nicht.«
Ich nickte. Und konnte nicht anders, küsste sie auf den Mund – und sie klammerte sich noch fester an mich.
ANJA,
Ausschnitt aus einer Tonbandaufzeichnung, Montag, 7. Juli 2008
Was erzählen Sie mir da? Das alles hat Ali gesagt? Sogar, dass wir uns im Bootshaus geküsst haben? Das hätte er nicht tun dürfen. Jedenfalls vielen Dank, dass Sie mir endlich einmal gesagt haben, was er so nebenbei über mich preisgegeben hat. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie sind ein Journalist, Herr Müller, und nicht einmal ein besonders bekannter. Ich weiß ja immer noch nicht, was für ein Machwerk aus diesem Stoff entstehen soll. Eine Enthüllungsstory vielleicht nach dem Motto: die beiden treulosen Freunde, die Arne Hansen auf dem Gewissen haben. Ich habe schließlich eine gesellschaftliche Stellung. Sie haben ja recht: Ich habe zugesagt, Ihnen von Arne zu erzählen, und mich weit vorgewagt. Aber das Ganze hat meiner Meinung nach bedenkliche Ausmaße angenommen. Ich hatte immer schon große Vorbehalte gegen den schamlosen Voyeurismus einiger Medien. Auf keinen Fall werden ich mich dem ausliefern.
Was mache ich denn jetzt?
Heute kann ich Ihnen nichts mehr erzählen, Herr Müller. Tut mir leid, dass ich an dieser Stelle unser Gespräch abbrechen muss. Ich rufe Sie an.
Versprochen.
ALI,
Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 12. August 2008
Ich habe ihre Stimme sofort wiedererkannt.
Katja war nicht gerade begeistert über diesen Anruf. Sie hat mein Gesicht gesehen, als ich telefonierte, und schon war sie sauer. Die Kunst des Pokerface beherrsche ich wohl nicht besonders gut.
Anja gab mir ihre Mobilnummer, und ich habe sie in einer ruhigeren Minute zurückgerufen. Es war wie eine Zeitreise. Ich war wieder der flotte Ali von damals und sie die selbstbewusste Anja. Mir kam ein erfreulicher Gedanke: Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende. In keiner Hinsicht.
Sie sagte, sie müsse mit mir reden, und zwar über das Arne-Projekt. Über uns. Sie meinte: »Es kann nicht so weitergehen.« Sie war der Meinung, wir erzählten dir beide zuviel, Paco. Sie hat nicht viel Vertrauen zur Presse, aber ich habe ihr erklärt, dass ich dich lange kenne und keine Angst habe, du könntest uns in die Pfanne hauen. Um es kurz zu machen: Sie verlangt, dass wir alles, was du an die Öffentlichkeit bringst, kontrollieren dürfen, sonst hören wir auf damit. Und wir möchten, dass du mit Dr. Wissmann sprichst, dem Psychiater, den ich damals um Hilfe gebeten habe. So vermindern wir zumindest das Risiko, dass du falsche Schlüsse ziehst. Das ist es im Grunde schon. Das heißt: Sie will eine schriftliche Vereinbarung mit dir schließen, so macht man das im Bankwesen.
Eigentlich waren wir uns schon nach ein paar Sätzen einig, aber wir verabredeten trotzdem, uns zu treffen, um weiter darüber zu reden.
»Komm doch einfach zu mir nach Hause. Nach meinerScheidung kann ich endlich wieder Leute einladen, ohne fragen zu müssen.«
Ich habe sie also vor anderthalb Wochen besucht in ihrem Loft und auf ihrem weißen Ledersofa gesessen. Ihre beiden älteren Kinder gehen aufs Internat und kommen nur in den Ferien zu ihr, und der Jüngste war bei seinem Vater. Sie wohnt wie in einem Katalog.
Ich fragte:
»Ist das nun die endgültige Anja? So angepasst?«
»Bin ich das?«
»Ich hatte jedenfalls etwas Verrückteres erwartet.«
Sie lachte.
»Vielleicht ist ja noch etwas zu retten.«
Dann bot sie mir Champagner an. »Oder vielleicht Wodka Lemon?« Sie trug ein bodenlanges Hauskleid, das am Ausschnitt mit Strass besetzt war. Mit Strass! Ich dachte erst, das kann nicht wahr sein. Vielleicht wollte sie mit dem Aufzug verbergen, dass sie ein bisschen molliger ist als früher. Aber alles noch innerhalb der Toleranzzone.
Wir waren beide ein bisschen unsicher, ich verschluckte mich sofort an meinem Wodka
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