Schlagmann
Lemon und hustete.
Das Nachdenken über Arne hat mir zugesetzt – und ihr auch. Ich will mit der Vergangenheit ins Reine zu kommen. Es ist nur schwer zu akzeptieren, dass die Dinge sind, wie sie sind, und wir nichts mehr korrigieren können.
Meine Gefühle sind widersprüchlich. Ich will Arne loswerden, die Erinnerung an damals bereitet mir Unbehagen. Wohin soll das alles führen? Ich bin nicht sicher, ob am Ende ein besserer Ali dabei herauskommt. Im Grunde bin ich auch sauer, dass dieser Schatten auf meine Sportlerkarriere fallen musste. Wieso auf meine? Genauso gut hätte ich sie genießen und mich heute ab und zu feiern lassen können wie andere Olympiasieger.
Dieser Nachmittag mit Anja hat mir gezeigt, dass nicht alles sinnlos war. Es war auch eine gute Zeit, ich spürte wieder diese unbestimmte Sehnsucht von damals, diesen Frühlingsduft, der durch mein Leben zog. Bekommst du langsam Angst, ich könnte dich zu meinem Beichtvater machen, Paco? Das hast du nun von deiner Hartnäckigkeit. Du hast uns wieder zusammengebracht, damit musst du nun leben.
Ich stieß mit Anja an – sie hatte eine Champagnerflöte mit Goldrand in der Hand – und sagte:
»Ich wüsste gerne, wie du heute über mich denkst.«
Sie lachte wieder. »Machst du mir Vorwürfe?«
»Na klar. Dafür, dass du dich nicht schon früher bei mir hast blicken lassen.«
Kaum hatte sie angefangen zu reden und zu lachen, war die Anja von damals wieder da. Sie war wieder die junge Frau vom Bootsplatz, an dem Tag, als ich nicht anders konnte als sie in die Arme zu nehmen. Wir saßen einander gegenüber auf der tiefen Couch, und ich versuchte vergeblich, eine bequeme Haltung für meine Beine zu finden.
Eine Stunde später lungerten wir auf dem Boden herum wie zu unserer Studentenzeit. Mit dem Unterschied, dass wir mittlerweile ein paar Schluck Alkohol gebraucht hatten, um locker zu werden. Wir haben unendlich viel geredet, nicht über Arne, sondern über uns selbst. Wie wir die letzten Jahre zugebracht haben.
»Wovon träumst du?«, fragte sie.
»Darauf«, sagte ich, »gebe ich jetzt besser keine Antwort.«
Sie nahm einen Schluck.
»Wir hätten nicht zulassen dürfen, dass wir den Kontakt verlieren. Das Leben ist zu kurz dafür.«
Da saßen wir nun, und versicherten uns gegenseitig, dass wir allzu verschwenderisch mit unserer Zeit umgegangen seien. Siehatte ein paar Kerzen angezündet und das Licht gedämpft, wahrscheinlich wusste sie genau, was sie tat, und sie tat es mit Erfolg, ihr Gesicht wurde wieder jung und leuchtend.
Arne war weit weg.
Ich räusperte mich. Als mein Mobiltelefon klingelte, war ich sogar ein wenig erleichtert. Meine Frau war aus dem Kino zurück. Ich musste nach Hause.
Anja holte meine Jacke, und wir standen an der Tür, Anja mit der Jacke über dem Arm. Es schien, als wäre in unserem Film das Bild hängen geblieben. Sie machte keine Anstalten, sie mir zu geben, so als wollte sie mich noch eine Weile bei sich behalten. Ich sagte, dass ich jetzt aber wirklich los müsse.
Ich sah sie an und nahm allen Mut zusammen. »Wir brauchen mehr Zeit zum Reden. Am liebsten würde ich mit dir wegfahren.«
Sie zögerte nicht mit der Antwort.
»Lass uns zusammen in Arnes Heimatstadt fahren.«
Ich nickte. Nahm ihr meine Jacke aus den Händen. Und ging.
Katja sagte ich nicht die Wahrheit. Ich erzählte ihr, ich müsste nach Norddeutschland zu einer Fortbildung. Sie brachte mich zum Bahnhof, und ich wartete, bis ihr Wagen um die Ecke gebogen war. Dann sprang ich in ein Taxi und ließ mich zu Anja fahren.
Sie fährt doch tatsächlich einen weißen Porsche mit roten Ledersitzen. Die ganze Zeit saß Anja am Steuer, das Auto röhrte über die Autobahn, war unbequem und laut. Ich hätte sie gerne gefragt, ob sie mich auch mal fahren lassen könnte. Aber dann fand ich, das müsste sie mir von sich aus anbieten.
Wir erreichten eine verschlafene kleine Backsteinstadt, parkten den Porsche mitten auf dem Marktplatz, kauften an einemStand eine Tüte Kirschen, setzten uns auf den Rand eines Brunnens und aßen sie.
»Und jetzt?«, fragte Anja.
Die Sonne wärmte meine Schultern, sie saß neben mir im Gegenlicht, in einem weißen Kleid mit einem breiten roten Gürtel.
Ich sah sie an, und mir war alles egal.
»Lass uns einfach hier sitzen bleiben«, sagte ich. »Vielleicht kommt ja einer aus seiner komischen Familie vorbei.«
Wir saßen eine Weile da und musterten die Passanten, von denen aber niemand Arnes Leuten ähnlich sah.
Sie
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