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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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diesmal war seine Größe noch verstörender. Er ragte in den blauen Himmel wie eine Pappel.
    Erst als ich seine Füße sah, musste ich die Augen schließen. Und als ich sie wieder öffnete, ließen seine Füße mich nicht mehr los. Es waren Vogelfüße.
    Lange, weißliche Werkzeuge mit Tierkrallen statt Zehen. Unter der durchsichtigen Haut konnte ich jeden einzelnen Knochen und jede Sehne erkennen. Die Mittelfußknochen zeichneten sich ab wie die Stäbe bei einem Regenschirm, darüber ringelten sich blaue Adern. Das Ganze nur mehr ein Rohbau von Füßen, ein Roboter-Konzept ohne Sinn für das Lebende. Horrorfüße, an denen rote Flip-Flops hingen.
    Er schlurfte langsam damit über den heißen Asphalt.
    Meine Hand fuhr mechanisch an meinen Hals. Jetzt nicht losheulen, sagte ich mir. Das hilft ihm nicht.
    Wir gingen am Samstagmittag durch die Fußgängerzone unserer Stadt. Es war ein leuchtender Sonnentag, zufriedene Behäbigkeit lag in der Luft, nur dort, wo wir liefen, schien es kalt zu sein.
    Leute kamen uns entgegen mit Eistüten in der Hand, Kaffeebechern aus Plastik, Teenagergruppen steuerten auf die Eisdielezu, genervte Mütter zerrten ihre Kinder vom Spielwarengeschäft weg Richtung C&A, und alte Leutchen saßen auf den Bänken. Wir schienen in einem Fluss aus Wohligkeit zu schwimmen – aber gegen den Strom. Sobald wir näher kamen, teilte sich die Menge, und die Gesichter der Leute veränderten sich. Jäh erstarrte ihr Lächeln. Sie wichen vor uns zurück, als hätten sie Angst davor, uns auch nur mit dem Ärmel zu streifen. Eine Frau schlug die Hand vor den Mund.
    Ich sah zu Arne hinüber. Der schlurfte weiter, ein furchterregendes Mobile, ohne sichtbare Reaktion. Sein Blick war auf den Boden gerichtet.
    Er hatte ein langes, weiß-rotes Basketballhemd an mit tiefen Armausschnitten. Es hing an ihm herunter wie eine traurige Flagge, nur an seinen eckigen Schultern festgehalten. An beiden Unterarmen trug er frische, weiße Verbände. Um seine Beine schlotterte eine helle Jeans. Trotz des langen Shirts konnte man ihr ansehen, dass sie am Bund mit einem Gürtel übermäßig zusammengerafft werden musste. Seine Schultern waren noch genauso breit wie immer, eine makabre Erinnerung an seine einstige Gestalt, aber so knochig, dass die Schlüsselbeine aus tiefen Gruben herausragten. An seinem langen, dünnen Hals baumelte eine Muschelkette. Immer wieder musste ich den Blick abwenden, als könnte ich mich so ein Weilchen ausruhen.
    Ich selbst war wieder ein bisschen schwerer geworden. Eigentlich grotesk: Er erschreckend mager, und daneben ich, wohlgenährt, rotwangig, kerngesund und endlich nach meinen vielen Ausflügen in mein gepolstertes Leben zurückgekehrt. Ich schämte mich ein bisschen, als ich an mir heruntersah.
    Unklare Schuldgefühle bedrückten mich, die in seiner Gegenwart stärker wurden. Selbst ich hatte inzwischen begriffen, dass er für sich selbst eine lebensgefährliche Bedrohung war.
    Wo war nur der Arne hin, in den ich mich verliebt hatte? Es gab ihn nicht mehr. Nie wieder würde ich mit der Hand über seine einzigartigen Bauchmuskeln streifen können. Er hatte sie weggehungert. Ich dachte an die kindliche Art, mit der er sich in gewissen Momenten an mir festgeklammert hatte. An seine Wildheit und sein Zittern. Noch so ein Niewieder.
    Im Grunde hatten wir uns beide davongemacht, in entgegengesetzte Richtungen. Arne und ich kannten uns sieben Jahre. Wir hatten unsere Beziehung nie ausdrücklich beendet. Sie hatte einfach aufgehört, hatte sich aufgelöst.
    Plötzlich blieb vor uns ein Kind stehen, zeigte auf Arne und zerrte seine Mutter am Arm.
    »Mama?«, fragte es mit quengeliger Stimme. »Ist der Mann krank?«
    Die Mutter zog das Kind fort, das sich im Weitergehen nach Arne umdrehte. »Sag schon, Mama.«
    Arne reagierte auch darauf nicht
    Die Verabredung war ein Fehler gewesen. Wir waren beide beklommen und bedrückt. Ich hatte Arne einen Bummel vorgeschlagen, aber nun hatte ich keine Ahnung mehr, was ich mit ihm anfangen sollte. Die Versuche, ihm zu helfen, hatte ich schon länger eingestellt. Hilfe – was sollte das überhaupt sein? Wenn Arne mich etwas gelehrt hat, dann, dass man niemanden vor sich selbst retten kann.
    Um ihn und mich abzulenken, fragte ich ihn, was er in der Zwischenzeit gemacht hätte. Er starrte auf den Boden, und es schien, als hätte er mich nicht gehört. Nach ein paar Sekunden schaute er aber auf und sagte laut:
    »Wie bitte?«
    Ich wiederholte meine Frage und sah in

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