Schlagmann
Laufschritt näher, er sagte nichts, als er bei mir war, kauerte sich neben mich und packte vorsichtig meinen Fuß. Als er merkte, dass er ihn nicht befreien konnte, stand er rasch auf, bückte sich und riss mit seinen beiden Händen die daneben liegende Planke krachend heraus. Das lange, an den Enden gesplitterte Stück Holz warf er ins Wasser. Dann riss er das zweite Brett heraus, und mein Fuß war frei. Nachdem ich mich aufgerichtet, meine Gelenke getestet und ein paar Schritte geschafft hatte, reichte er mir – immer noch wortlos – die Hand. Ich schüttelte sie, spürte dabei seine Schwielen, und als ich meine Hand wieder zurückgezogen hatte, war sie feucht, und ich sah, dass sie voll mit seinem Blut war. Ich sagte: »Danke.« Arne antwortete nicht und ging weg.
Mein Piepser summte.
Arne schreckte auf und öffnete die Augen.
Ich sagte:
»Du bist im Krankenhaus.«
Er schaute sich im Zimmer um.
»Ich bin o.k.«, sagte er leise. Beunruhigt fixierte er die Infusion. »Eine Frage«, sagte er.
»Ja, Arne?«
»Was gebt ihr mir da?«
»Glukose. Du hattest einen Schwächeanfall.«
Arne sah mich erschrocken an.
»Hast du eine Ahnung, wie viel Kalorien das Zeug hat?«
Ich versuchte, ihn zu beruhigen.
»Du brauchst das in deinem Zustand.«
Er richtete sich auf.
»In meinem Zustand? Wenn ich hier zwangsernährt werde, bin ich sofort weg.«
»Durch den Tropf hat noch keiner zugenommen, glaube mir.«
Er nickte schwach und schloss die Augen.
In meinem Knöchel war damals ein Band gerissen, und ich musste operiert werden. Die Mannschaft kreuzte geschlossen an meinem Krankenhausbett auf – bis auf Arne.
Der Piepser summte noch einmal, Arne reagierte nicht.
Ich stand da, unschlüssig, und wusste nicht mehr, was ich sagen sollte.
Die folgenden Tage hatte ich frei. Ich feierte Weihnachten mit meiner Familie und versuchte, die Erinnerung an Arnes Anblick zu verdrängen. Ich fühlte diese Mischung aus Aggression und Unlust, die mir Patienten immer einflößen, wenn sie sich nicht helfen lassen. Als ich wieder meinen Dienst antrat, war er schon wieder zu Hause. Ich weiß, ich hätte mich um ihn kümmern müssen, aber ich hatte es aufgegeben, ihn aufhalten zu wollen.
Vier Wochen später wurde Arne wieder eingeliefert, aber das hörte ich erst später – ich war mit ein paar Freunden auf einer Skitour in Ischgl. Und dann zwei Monate später noch einmal. Er ließ nicht einmal mehr nach mir fragen, ich erfuhr es von den Pflegern. Ausgerechnet Sam, mein Hintermann aus dem Olympia-Achter, hatte ihn in einem Fahrradgeschäft aufgelesen, wo er sich einen besonders gut gepolsterten Gel-Sattel angeschaut hatte. Ich nehme an, er konnte mit seinen bloßen Gesäßknochen kaum mehr auf dem Rad sitzen. In seinem Zustand konnte er wahrscheinlich kaum mehr gehen.
Widerwillig ging ich zu ihm. Vor seiner Zimmertür traf ich eine dickliche Frau um die 60 in einem karierten Regenmantel.
»Guten Tag Herr Doktor«, sagte sie mit einem osteuropäischen Akzent. »Ich bin Frau Ringel, die Nachbarin von Herrn Hansen.«
Sie sagte, sie sei gelernte Krankenschwester, heute in Rente, und verbinde ihm seit Jahren regelmäßig seine Wunden.
»Ich mache das doch richtig?«
Kaum hatte ich erklärt, dass ich Arnes Ruderkamerad gewesen sei, war es vorbei mit dem unterwürfigen Ton. Sie holte tief Luft und fing an, mich mit Vorwürfen zu bombardieren.
»Was seid ihn nur für Freunde?«, schimpfte sie. »Warum lasst ihr ihn alle im Stich? Was seid ihr nur für Menschen?«
Ich fragte sie, ob sie Kontakt zu seiner Familie hätte. Sie schüttelte den Kopf, und nur durch rasches Weiterreden konnte ich sie von der nächsten Schimpftirade abhalten. Ich sagte, dass ich mir die Wunden ansehen würde, was sie beruhigte. Dann bat ich sie, meine Telefonnummer zu notieren und mich nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus über seinen Zustand auf dem Laufenden zu halten. Sie nickte und holte ein Notizbuch aus der Handtasche.
»Wie ernst ist es denn, Herr Doktor?«, fragte sie wieder in ihrem unterwürfigen Ton.
»Er muss essen«, sagte ich.
»Das wird er nicht«, antwortete sie.
Ich hatte inzwischen seine Krankenakte gelesen und wusste, wie schlimm es um ihn stand. Seinem vergrößerten Sportlerherz drohte ein Infarkt. Seine Nieren funktionierten schlecht. Seine Lunge war angegriffen. Alle seine Kräfte waren aufgebraucht. Sein Allgemeinzustand war der eines Sterbenden. Eine Erkältung konnte ihn das Leben kosten.
Ich wartete, bis die Nachbarin
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