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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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habe gebüßt dafür, dass ich ihn dieses einzige Mal auf dem Wasser geschlagen habe. Und dass ich seine Freundin geküsst habe.
    »Mann, Mann«, sagte ich zu meinem Kollegen, und mein Kopf wog auf einmal so schwer, dass ich ihn in meine Hände legen musste.
    Der Kollege wunderte sich nicht.
    »Ist das ein Freund von Ihnen? Dann machen Sie sich auf etwas gefasst.«
    In diesem Moment kam eine Schwester angerannt. »Kommen Sie beide. Ich glaube, ein Schlaganfall.«
    Während der folgenden Stunden ging es bei uns lebhafter zu als in Bethlehems Stall. Um acht Uhr sah ich das erste Mal auf meine Uhr. Eine Stunde später setzte ich mich das erste Mal hin und aß das Sandwich, das mir meine Frau mitgegeben hatte. Ungetoastetes Weißbrot mit Truthahn, passend zum Fest. Darauf ein Berg Mayonnaise. Ich biss ab und kaute, und schon drehte sich mir der Magen um. Als ich das Sandwich zurück legte, fiel mir Arne wieder ein.
    Früher oder später musste ich hin.
    Auf dem Flur traf ich meinen Kollegen wieder und fragte ihn, wo Arne lag. Innere. Ich nahm den Aufzug nach oben. Dort sagte mir die Stationsschwester, ich fände ihn auf Zimmer 512. Sie schaute mich betreten an.
    »Kennen Sie ihn?«
    »Ein alter Freund.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Tut mir leid.«
    Ich klopfte an, bekam aber keine Antwort, öffnete vorsichtig die Tür und ging leise hinein. Es war fast dunkel im Krankenzimmer, nur die Leselampe am Kopfende brannte und beleuchtete ein fremdes Gesicht. Ich wollte wieder gehen, weil ich dachte, die Schwester hätte mir die falsche Zimmernummer genannt. Hier lag ein Greis. Er lag auf dem Rücken und schlief, das spitze Kinn hochgeschoben. Sein Mund war aufgeklappt.
    Ich trat näher und schaute auf das Schild am Fußende. Tatsächlich. Da stand: Arne Hansen, geboren am 25. Juni 1963.
    Vorsichtig stellte ich einen der beiden Besucherstühle neben sein Bett, setzte mich hin und versuchte, seine Atemzüge zu hören. Er atmete hastig und oberflächlich, so als hätte er es eilig, damit fertig zu werden.
    Ich war dankbar für das Halbdunkel. Das ganze Zimmer schien mir plötzlich wie eine dunkle, der Welt abgewandteHöhle. Es war fast überirdisch still. Nach dem Trubel der vergangenen Stunden verlangsamten sich meine Gedanken wieder.
    Ich sah diesen Körper unter der weißen Decke liegen, sah das spitze Gesicht und suchte nach Zeichen, an denen ich ihn erkennen konnte. Es waren Arnes Haare. Arnes farblose Augenbrauen. Arnes Nase, wenn auch noch einmal schärfer als in meiner Erinnerung.
    Ich wusste, dass der Tod ihn schon eine ganze Weile auf allen seinen Wegen begleitete. Nun würde er bald am Ziel sein. Ich widerstand der Versuchung, die Hände zu falten. Nicht einmal an Weihnachten, sagte ich mir rasch. Doch am liebsten hätte ich das Kerzengesteck aus dem Arztzimmer geholt und angezündet. Ich hatte so viel mit ihm gemeinsam. Ich hatte so viele Stunden mit ihm beim Training verbracht, im Zweier, im Vierer, im Achter. Ich hatte so viele Male, in zahllosen Trainingslagern, das Doppelzimmer mit ihm geteilt. Als es losging mit uns beiden, dachte ich, der Typ ist o.k. Der nervt dich nicht.
    Plötzlich bewegte sich Arne in seinem Bett. Er drehte seinen Kopf hin und her, schmatzte mit den Lippen und schloss seinen Mund. Ich nahm ein Stück Zellstoff vom Nachttisch und wischte ihm die Mundwinkel ab. Ich kontrollierte, ob die Infusion lief – alles in Ordnung. Der Piepser in meiner Kitteltasche hielt immer noch Ruhe – auch über das Krankenhaus schien sich jetzt Heiligabend zu senken.
    Ich setzte mich wieder hin, verschränkte die Arme und dachte an den Tag, der Arne und mich mehr verbunden hatte als alle Rennen. Damals kannten wir uns erst ganz kurz. Wir kamen vom Achtertraining, hatten gerade das Boot weggelegt, und ich ging allein zurück zum Steg, weil ich meine Trinkflasche liegen gelassen hatte. Auf einmal rutschte ich mit meinem rechten Fuß zwischen die morschen Planken des Bootsstegs. Ich stürzte auf beide Knie und verdrehte dabei mit einem knirschenden Geräuschmeinen rechten Knöchel. Meine Lage war scheußlich. Es war unmöglich, mich aufzurichten und den Fuß herauszuziehen. Ich hatte eine Heidenangst, mich schwer zu verletzen, und wagte es nicht, fester zu zerren. Die Holzsplitter stachen in mein Bein, und ich fühlte mich wie ein gefangenes Tier. Mir war schlecht, und ich heulte beinahe aus Verzweiflung. Irgendwann schaute ich auf, den anderen hinterher, doch nur einer hatte etwas bemerkt. Arne kam im

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