Schlangen im Paradies
so viele Gedanken durch den Kopf, wie lose Fä-
den, die sie nicht recht verknüpfen konnte.
Ein Schmetterling, der auf einer Wolke dahinsegelt …
Sie begann sich zu erinnern, warum ihr das bekannt vorkam.
Sie hatte es beinahe …
«Können Sie mich hören, Mrs. Meehan?»
Sie hatte nicht gemerkt, daß Baron von Schreiber hereinge-kommen war. Seine Stimme klang leise und etwas heiser.
Hoffentlich funktionierte das Mikrofon. Sie wollte alles auf-zeichnen.
«Ja.» Auch ihre Stimme klang weit entfernt.
«Keine Angst. Sie werden den Nadelstich kaum spüren.»
Er hatte recht. Sie spürte fast gar nichts, höchstens wie bei einem Mückenstich. Und davor hatte sie sich so gefürchtet! Sie wartete. Der Doktor hatte ihr gesagt, er würde das Kollagen an zehn bis zwölf Stellen auf beiden Seiten des Mundes injizieren.
Worauf wartete er denn?
Das Atmen fiel ihr schwer. Sie bekam keine Luft. «Hilfe!»
schrie sie, aber das Wort blieb ihr im Halse stecken. Sie riß den Mund auf, rang verzweifelt nach Luft. Sie konnte sich nicht mehr rühren. Hilf mir, lieber Gott, so hilf mir doch, dachte sie.
Dann umfing sie Dunkelheit, als die Tür aufging und Schwester Owens munter sagte: «Hier sind wir, Mrs. Meehan. Sind Sie bereit für die Verschönerung?»
9
Was beweist das, fragte sich Elizabeth auf dem Weg vom Hauptgebäude zur Klinik. Wenn Helmut das Theaterstück geschrieben hatte, mußte er jetzt durch die Hölle gehen. Der Autor hatte eine Million Dollar in die Produktion gesteckt. Deswegen auch Mins Anruf in der Schweiz. Ihr Notgroschen auf einem Nummernkonto war ein beliebter Witz. «Ich werde nie pleite sein», hatte sie sich oft und gern gebrüstet.
Min lag an Teds Freispruch, weil dann das Projekt, in allen seinen neuen Hotels ein Cypress Point Spa einzurichten, ver-wirklicht werden konnte. Helmut besaß einen weitaus zwingen-deren Grund. Falls er Clayton Anderson war, wußte er nur zu gut, daß selbst der Notgroschen futsch war.
Sie konnte ihn zwingen, ihr die Wahrheit zu sagen.
In der Eingangshalle der Klinik herrschte gedämpfte Stille, doch die Empfangsdame saß nicht an ihrem Schreibtisch. Hinten im Korridor hörte Elizabeth hastende Schritte und laute Stimmen. Sie eilte in die Richtung. Am Flur öffneten sich Türen, und Gäste, die gerade behandelt wurden, spähten neugierig hinaus.
Der Raum am Ende des Korridors stand offen. Von dort kam der Lärm.
Raum C. Du lieber Himmel, hier sollte doch Mrs. Meehan ih-re Kollageninjektionen erhalten. Im ganzen Cypress Point gab es wohl keinen, der davon nichts gehört hatte. War etwas schiefge-gangen? Elizabeth stieß beinahe mit der Schwester zusammen, die aus dem Behandlungsraum kam.
«Sie dürfen da nicht rein», rief sie zitternd.
Elizabeth schob sie zur Seite.
Helmut beugte sich über den Behandlungstisch, drückte Alvirahs Brustkorb zusammen. Sie hatte eine Sauerstoffmaske über dem Gesicht. Das Geräusch eines Beatmungsgeräts erfüllte den Raum. Die Decke war zurückgeschlagen, der Bademantel zusammengeknüllt, die unvermeidliche Rosette funkelte am Kra-gen. Schreckgelähmt sah Elizabeth, wie die Schwester Helmut eine Kanüle reichte, die er an einem Schlauch befestigte und dann in Alvirahs Vene einführte. Ein Krankenpfleger übernahm die Herzmassage.
Von ferne hörte Elizabeth, wie eine Ambulanz mit heulender Sirene und quietschenden Reifen durch das Haupttor fegte.
Um 16 Uhr 15 erfuhr Scott, daß Alvirah Meehan, die Frau, die vierzig Millionen Dollar in der Lotterie gewonnen hatte, ins Monterey Peninsula Hospital eingeliefert worden und möglicherweise einem Mordversuch zum Opfer gefallen war. Der Streifenpolizist, der ihn telefonisch verständigte, hatte den Not-ruf entgegengenommen und die Ambulanz nach Cypress Point begleitet. Die Besatzung des Krankenwagens vermutete ein Verbrechen, und der Arzt in der Notaufnahme teilte diese Auffassung. Dr. von Schreiber behauptete, sie habe noch gar keine Kollagenbehandlung bekommen, ein Blutstropfen auf dem Gesicht schien jedoch für eine kurz zuvor erfolgte Injektion zu sprechen.
Alvirah Meehan! Scott rieb sich die plötzlich müden Augen.
Sie war eine intelligente Person. Er dachte an ihre Bemerkungen beim Dinner. Sie glich dem Kind in Andersens Märchen «Des Kaisers neue Kleider», das ruft: «Aber er hat ja gar nichts an!»
Warum sollte jemand Alvirah Meehan etwas antun wollen?
Scott hätte eher befürchtet, daß sich große und kleine Betrüger an sie heranmachen und ihr mit windigen
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