Schlangenjagd
Flussbett. Für einen kurzen Moment glaubte Juan, dass der Frachter nun liegen bliebe, weil der Computer die Impulsdüse sofort abgeschaltet hatte, doch die Strömung war stark genug, um sie weiterzutragen, und sobald der Kiel wieder frei war, nahm der Frachter Tempo auf – wie ein Sprinter nach Verlassen der Startblöcke.
Trotz der Gefahr, oder vielleicht gerade wegen ihr, stellte Cabrillo fest, dass er die Herausforderung regelrecht genoss. Dies war eine Prüfung seines Könnens und der Fähigkeiten eines Schiffs im Widerstreit mit der tosenden Flut – der uralte Kampf des Menschen mit der Natur. Er war jener Typ Mensch, der vor nichts zurückwich, denn er kannte seine Grenzen und musste erst noch mit einer Situation konfrontiert werden, von der er annahm, dass er sie nicht meistern könnte. Bei anderen würde eine solche Eigenschaft als verantwortungslose Tollkühnheit gewertet werden. Bei Juan Cabrillo war sie lediglich Ausdruck eines absoluten Selbstvertrauens.
»Die Vorwärtsfahrt hat die zweite Röhre freigespült«, verkündete Max. »Geh vorsichtig mit ihr um, bis ich ein Team reingeschickt habe, um eventuelle Schäden festzustellen.«
Juan aktivierte die zweite Röhre und spürte sofort, wie sein Schiff reagierte. Es schwang nicht mehr schwerfällig herum, und er musste die Manövrierdüsen immer seltener einsetzen. Er überprüfte die Geschwindigkeit – achtundzwanzig Knoten über Grund und acht im Wasser. Er war bei Weitem schnell genug, um den Frachter lenken zu können, und nun, nachdem sie mehrere Kilometer der anfangs turbulenten Strömung hinter sich hatten, war das Wasser auch schon ruhiger geworden. Oberst Abalas Truppen hatten entweder am oder im Fluss ihr Leben gelassen und waren jedenfalls zurückgeblieben. Die beiden Hubschrauber, die er gestohlen hatte, hatten sich in Sicherheit gebracht, sobald die Flutwelle zugeschlagen hatte.
»Eric, ich glaube, du kannst sie von hier bis runter nach Borna bringen.«
»Okay, Meister«, erwiderte Stone. »Ich übernehme das Ruder.«
Juan lehnte sich in seinem Sessel zurück. Max Hanley legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Das war ein verdammt gewagter Höllenritt, wenn ich das so sagen darf.«
»Danke. Ich glaube auch nicht, dass ich das so bald wiederholen möchte.«
»Ich würde liebend gerne feststellen, dass wir aus dem Gröbsten raus sind, aber das sind wir wohl nicht. Die Batteriespannung ist bis auf dreißig Prozent abgesunken. Selbst wenn wir die Strömung ausnutzen, dürfte uns etwa gute zwanzig Kilometer vor dem Meer der Saft ausgehen.«
»Hast du eigentlich überhaupt kein Vertrauen zu mir?«, fragte Juan sichtlich verletzt. »Warst du denn nicht dabei, als Eric erklärte, die Flut habe ihren höchsten Stand in …« Juan schaute auf seine Armbanduhr. »Anderthalb Stunden? Der Ozean dringt dann fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer landeinwärts vor und verwandelt den Kongo in Brackwasser. Es ist zwar so, als betreibe man einen Hochleistungsrennmotor mit ordinärem Normalbenzin, aber der Salzgehalt dürfte dann dennoch ausreichen, um die magnetohydrodynamischen Maschinen in Gang zu halten.«
Max fluchte unterdrückt. »Verdammt, warum habe ich daran nicht gedacht?«
»Aus dem gleichen Grund, weshalb ich besser bezahlt werde als du. Ich bin wesentlich gerissener, mindestens um die Hälfte intelligenter, und ich sehe auch noch viel besser aus.«
»Und du trägst deine Bescheidenheit wie einen maßgeschneiderten Anzug mit dir herum.« Dann wurde Max ernst. »Sobald wir in Borna ankommen, schicke ich meine Ingenieure in die Röhren, aber nach dem, was mir der Computer an Daten liefert, dürften sie okay sein. Vielleicht nicht zu hundert Prozent, aber mein Gefühl sagt mir, dass sie nicht neu ausgekleidet werden müssen.«
Obgleich er innerhalb der Corporation die Funktion eines Direktors ausübte, auch offiziell diesen Titel trug und mit allen Aufgaben betraut war, die mit der Leitung einer erfolgreichen Firma zu tun hatten, genoss Max am meisten seine Position als Chefingenieur der
Oregon,
und ihre hochmodernen Maschinen waren sein ganzer Stolz.
»Gott sei Dank.« Die Innenwände der Röhren zu ersetzen, hätte Kosten von einigen Millionen Dollar verursacht. »Aber ich will nicht länger als unbedingt nötig in Borna festhängen. Sobald Linc und Eddie zu uns gestoßen sind, möchte ich so schnell wie möglich in internationale Gewässer abdampfen – für den Fall, dass Minister Isaka uns die Hyänen nicht vom Hals halten kann,
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