Schlangenjagd
nächsten Granaten würden straflos überall auf der
Oregon
landen, und ihre Decks waren bei Weitem nicht so schwer gepanzert wie ihre Flanken.
»Schadenkontrollteams bereit halten«, befahl Juan über das Interkom-Netz des Frachters. »Wir haben mit einigen Treffern zu rechnen.«
»Heiliger Himmel!«, rief Hali.
»Was ist?«
»Haltet euch bereit!«
Juan löste den Kollisionsalarm aus, während er die Welle sowohl auf dem Radarschirm in einer Ecke des großen Monitors als auch das Bild der Heckkameras verfolgte. Sie erstreckte sich über die gesamte Breite des Flusses. Mehr als drei Meter hoch und mit einer Geschwindigkeit von gut zwanzig Knoten heranrasend, stürzte die kochende Wasserwand unbarmherzig auf sie. Eines der Patrouillenboote versuchte auszuweichen und jagte ein kurzes Stück vor der Wasserwalze her, wurde jedoch noch während des Wendemanövers erwischt. Die Welle traf das Schiff von der Seite. Das Patrouillenboot kippte augenblicklich um und schleuderte seine Besatzung in den Malstrom, wo die Männer vom rollenden Rumpf ihres Bootes zerquetscht wurden.
Pirogen verschwanden spurlos, und die Rebellen, die am Ufer gestanden und die
Oregon
beschossen hatten, flüchteten sich auf höher gelegenes Gelände, während die Wassermassen alles wegspülten, was ihnen im Weg stand.
Juan nahm die Hände von den Kontrollen, kurz bevor die Welle die
Oregon
erreichte, streckte und knetete seine Finger wie ein Pianist vor einem besonders anspruchsvollen Stück, und legte sie dann wieder behutsam auf die Schalter und den Joystick, mit dem er sein Schiff lenkte.
Er brachte die Leistung des noch nicht verstopften Druckrohrs im gleichen Augenblick auf zwanzig Prozent, als die Flutwelle das Heck der
Oregon
aus dem Schlamm hob. Als würde es von einem Tsunami erfasst, wurde das Schiff im Bruchteil einer Sekunde von null auf zwanzig Knoten beschleunigt, während zwei Granaten in ihrem Kielwasser explodierten, Geschosse, die die hinteren Frachtluken durchschlagen und den Robinson R44 Helikopter mitsamt seiner versenkbaren Start- und Landeplattform zerstört hätten.
Juan überflog die Anzeigeinstrumente der Maschinen, registrierte die Pumpentemperaturen, die Geschwindigkeit über Grund, die Geschwindigkeit im Wasser sowie seine Position und den Kurs. Dabei wanderte sein Blick im ständigen Kreislauf von einer Skala zur anderen. Das Schiff bewegte sich tatsächlich mit nur drei Knoten durchs Wasser, raste aber mit mehr als fünfundzwanzig Knoten flussabwärts, vorwärtsgetragen vom enormen Druck der Wassermassen, die sich über den Inga-Staudamm ergossen.
»Max, gib mir Bescheid, sobald die zweite Röhre frei ist«, rief er. »Ich habe nicht genug Tempo, um zu manövrieren.«
Er schob den Gashebel behutsam vor und kämpfte gegen die Strömung, die die
Oregon
auf die Insel zuzuschleudern versuchte, die plötzlich mitten im Fluss aufragte. Seine Finger tanzten über die Computertastatur. Er aktivierte die Manövrierdüsen an Bug und Heck, um das Schiff gerade und auf Vorwärtskurs zu halten, während rechts und links der finstere Dschungel an ihnen vorbeiflog.
Sie segelten um eine scharfe Biegung des Flusses, wobei sie die Strömung auf das gegenüberliegende Ufer zutrieb, wo ein kleines Frachtschiff, das flussaufwärts unterwegs gewesen war, am Ufer festsaß und mit seinem Heck weit in den Kongo hineinragte. Juan gab volle Kraft auf die Manövrierdüsen und schob die
Oregon
breitseits so weit nach Steuerbord wie nur irgend möglich. Der Rumpf scheuerte mit einem ohrenbetäubenden Kreischen am Küstenfrachter entlang, und dann waren sie frei.
»Das dürfte seine Spuren hinterlassen«, meinte Eric, obwohl er über die Art und Weise, wie Juan mit dem Schiff umging, nur staunen konnte. Er wusste genau, dass er die Biegung niemals geschafft und zugleich eine Berührung mit dem anderen Schiff vermieden hätte.
Während der Fluss um sie herum regelrecht zu kochen schien, wurden sie weiter flussabwärts getragen, mitgerissen wie welkes Laub in einer Gosse und kaum in der Lage, einem eigenen Kurs zu folgen, ehe Juan ein wenig mehr an Leistung aus den Maschinen würde herauskitzeln können. Immer wieder musste er sich mit Kurskorrekturen gegen den Fluss wehren, damit die
Oregon
nicht erneut auf Grund lief oder sich ins Flussufer bohrte, wobei er jedes Mal einem solchen Schicksal noch ein wenig knapper entrann. Einmal hatten sie wieder Grundberührung – das Schiff wurde schlagartig abgebremst und grub eine tiefe Furche ins
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