Schlangenjagd
noch lauter stöhnen. »Was ist passiert? Mein Gesicht, es ist ganz taub, und mein Körper, ich glaube, meine Rippen sind gebrochen.«
»Erinnern Sie sich nicht? Sie wurden geschlagen, misshandelt. Sie sagten, sie hätten Ihnen keine Fragen gestellt.«
»Haben sie Sie auch geschlagen?«
Merricks Herz krampfte sich zusammen. Trotz ihrer Schmerzen und Verwirrtheit machte Susan Donleavy sich auch noch Sorgen um seinen Zustand. Die meisten Menschen hätten niemals eine solche Frage gestellt, sondern nur von ihren eigenen Verletzungen gesprochen. Er wünschte sich – o Gott, wie sehr er es sich wünschte –, dass sie niemals in diesen Albtraum mit hineingezogen worden wäre. »Nein, Susan«, antwortete er sanft. »Das haben sie nicht.«
»Da bin ich froh«, sagte sie.
»Ich habe aber erfahren, wer uns entführt hat und weshalb.«
»Wer?« Da lag ein Anflug von Hoffnung in ihrer Stimme, als sie fragte. Als verbesserte es ihre Lage, wenn sie ihren Peinigern einen Namen und ein Gesicht zuordnen konnten.
»Mein ehemaliger Geschäftspartner.«
»Dr. Singer?«
»Ja, Dan Singer.«
»Warum? Warum sollte er Ihnen so etwas antun?«
»Uns, meinen Sie. Weil er krank ist, Susan. Er ist ein verwirrter, verbitterter Mann, der die Welt von seiner verzerrten Vision der Zukunft überzeugen will.«
»Das verstehe ich nicht.«
Merrick verstand es auch nicht. Er konnte nicht begreifen, was Singer bereits getan hatte und was er noch zu tun beabsichtigte. Es war einfach zu viel. Singer hatte bereits Tausende Menschen getötet, und niemand hatte eine Ahnung davon. Nun schickte er sich noch an, Zehntausende mehr zu töten. Und wofür? Um den Vereinigten Staaten eine Lektion über Umweltschutz und globale Erwärmung zu erteilen. Das war ein Grund, aber Merrick kannte seinen ehemaligen besten Freund zu gut.
Für Dan war das Ganze eine persönliche Angelegenheit, ein Weg, um Merrick zu beweisen, dass er, Dan Singer, die treibende Kraft und das Gehirn hinter ihrem Erfolg gewesen war. Am Anfang waren sie wie Brüder gewesen, aber Merrick war immer der Charmeur, derjenige, der in einem Interview niemals auf den Mund gefallen war, daher war es auch nicht zu vermeiden, dass die Medien ihn zum Gesicht von Merrick/Singer hochstilisierten und Dan in den Schatten schoben. Merrick war niemals auf die Idee gekommen, dass dies seinen Partner stören könnte. Er war am MIT stets ein Eigenbrötler gewesen, also warum sollte es in der realen Welt anders sein? Dass es aber anders gewesen war, wusste er jetzt. Singer hatte einen Hass gegen ihn entwickelt, der schon pathologisch war.
Er hatte Singers Persönlichkeit völlig verändert, ihn aus der Firma hinausgetrieben, bei deren Aufbau er doch entscheidend mitgeholfen hatte, und ihn mit der Umweltschutzbewegung in Berührung gebracht, in deren Namen er seinen Reichtum einsetzte, um alles in seiner Kraft Stehende zu tun, Merrick/Singer zu ruinieren. Doch als ihm das nicht gelang, hatte er seinen neuen Öko-Freunden den Rücken gekehrt und sich in sein Haus in Maine zurückgezogen, um seine Wunden zu lecken.
Wenn es doch nur so gewesen wäre,
dachte Merrick. Aber Singer hatte seinen Hass gepflegt, hatte ihn wachsen lassen. Und nun war er mit einem unglaublich verwegenen und grauenhaftem Plan zurückgekehrt. Einem Plan, dessen Ausführung so weit fortgeschritten war, dass es keine Möglichkeit mehr gab, ihn zu stoppen. Er hatte seinen Kreuzzug zum Schutz der Umwelt nicht aufgegeben, sondern vielmehr eine neue und verdrehte Richtung eingeschlagen.
»Wir müssen zusehen, dass wir irgendwie von hier wegkommen, Susan.«
»Was ist denn los?«
»Wir müssen ihn aufhalten. Er hat völlig den Verstand verloren, und die Leute, die er um sich versammelt hat, sind offenbar glühende Umweltfanatiker, die sich einen Dreck um die Menschheit scheren. Und als wäre das noch nicht genug, behauptet er auch noch, dass er außerdem eine Bande von Söldnern angeheuert hat.« Merrick vergrub das Gesicht in den Händen.
Es war seine Schuld. Er hätte Dans Wut von Anfang an bemerken und darauf bestehen müssen, dass auch er seinen Anteil am Scheinwerferlicht abbekam. Er hätte die Zerbrechlichkeit von Dans Ego erkennen müssen und wie die Aufmerksamkeit, die Merrick zuteil wurde, es zerstörte. Wenn er die Augen rechtzeitig geöffnet hätte, wäre all dies nicht passiert. Die Tränen, die ihm in die Augen stiegen, verwandelten sich in ein krampfhaftes Schluchzen, und alle Gedanken an seine eigene missliche Lage wurden
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