Schlangenkopf
große, besorgte Augen. »Diese bösen herzlosen jungen Frauen von heute. Sagen Sie doch, Wanja, so ein netter junger Mann, der hätte doch …«
»Der Anwalt«, sagt Berndorf, »hat die Informationen, die er von Ihnen bekommen hat, an Den Haag weitergegeben. Da ist jetzt etwas in Gang gesetzt worden, das hält auch unsere Freundin Olga nicht mehr auf.«
»Sie kennen beide diese Olga?«, fragt Madame Tamara empört. »Das ist … ich weiß gar nicht, was ich … also zu meiner Zeit! Dabei …« Sie nippt an ihrem Likörglas, und irgendwie ist es schon wieder leer. Aber Zlatan übersieht es. »Ich glaube«, sagt er, »ich sollte uns einen Kaffee machen.«
»Oh! Einen Kaffee, wie unaufmerksam von mir … ich eile!«, ruft Madame Tamara und steht auf, ein wenig schwankend allerdings, im letzten Augenblick kann Berndorf sie festhalten. Dann ist auch Zlatan schon bei ihr und führt sie zu einem kleinen Verschlag, der durch einen Vorhang vom Zimmer abgetrennt ist.
»Aber es ist doch noch gar nicht …«, wendet Madame Tamara ein, doch Zlatan legt sie auf ihr Bett und zieht ihr die Pantöffelchen von den Füßen und deckt sie mit einer Wolldecke zu. Man hört noch ein ärgerliches Murmeln, dann sehr schnell nur noch gleichmäßige, aber nicht unbedingt geräuschlose Atemzüge. Zlatan zieht den Vorhang wieder zu, kehrt ins Zimmer zurück und macht sich in der Kochnische zu schaffen. »Sie wird jetzt erst mal eine Weile schlafen«, erklärt er, »und später ein wenig ungnädig sein. Aber das braucht Sie nicht zu stören.«
»Sie machen uns jetzt einen bosanska Kahva ?«, fragt Berndorf. »Sehr aufmerksam. Wo haben Sie das eigentlich gelernt?«
»Bitte?«, fragt Zlatan und dreht sich halb um. »Bei uns zu Hause lernt man das. Und ich hab Ihnen doch erzählt, dass ich …«
»Sie waren nicht Chef de Rang, Sie haben nicht in einem Fünf-Sterne-Hotel an der Adria gearbeitet, und Sie haben kein eigenes Café geführt«, unterbricht ihn Berndorf. »Sie sind in Frankfurt ausgebildet worden, im Dalmacija Grill in Sachsenhausen.«
Zlatan dreht sich wieder um und beginnt, den Kaffeesud aufzuschäumen. »Wie Sie meinen. Man hat mir in Kroatien alle meine Papiere abgenommen, die Zeugnisse, die Diplome«, sagt er. »Deshalb hab ich in Frankfurt noch einmal eine Prüfung machen müssen. Vermutlich wissen Sie nicht, wie das ist, wenn Sie nichts mehr in der Hand haben.«
»Ist Zlatan Sirko Ihr richtiger Name?«, fragt Berndorf. »Warum wollten Sie nicht nach Den Haag? Warum sind Sie in Blengow weggelaufen, als wir die Polizei gerufen haben? Sie brauchen nicht nach dieser Pistole zu greifen, damit können Sie nichts ungeschehen machen, bringen Sie mir lieber Ihren Kahva . Und lassen Sie uns darüber reden, wie es vielleicht weitergehen kann.«
E ine Standuhr holt rasselnd Atem und schlägt dreimal, als Berndorf über den Korridor der Anwaltskanzlei geht. Erschrocken hält er inne – nein, es kann nicht drei Uhr morgens sein, das dann zum Glück doch nicht, es ist erst Viertel vor Elf. Dingeldeys Büro mit den hohen Bücherwänden ist allein von der grünen Schreibtischlampe und dem bläulichen Schein zweier Monitore erleuchtet – dem eines Computers und eines Notebooks. Auf einer Anrichte steht eine Kaffeemaschine, ein grüner Lichtpunkt zeigt an, dass sie betriebsbereit ist. Daneben steht aufgerissen ein Karton mit einer Pizza vom Lieferservice.
»Kaffee oder was zu essen?«, fragt Dingeldey einladend, aber Berndorf bittet nur um ein Wasser, in den letzten zwei Stunden hat er genug Kaffee getrunken, » bosanska Kahva , um genau zu sein.«
»Ach!«, sagt Dingeldey, »Sie haben Zlatan aufgestöbert!« Aus der Bar, die er in einem Fach der Bücherregale eingebaut hat, holt er eine Flasche Mineralwasser und öffnet sie. »Wie geht’s ihm denn so? Warum ist er nun doch nicht nach Schweden?«
»Ich weiß es nicht«, sagt Berndorf. »Vielleicht, weil er keine Papiere dabeihatte. Oder vielleicht auch, weil er uns gesagt hat, dass er es vorhat. Eigentlich weiß ich gar nichts von ihm. Höchstens, dass Zlatan Sirko mit Sicherheit nicht sein richtiger Name ist.«
»Das klingt nach einem etwas unbefriedigenden Gesprächsverlauf«, bemerkt Dingeldey und stellt für Berndorf ein Tablett mit der Flasche Mineralwasser und einem Glas auf den Schreibtisch.
»Das kann man so nicht sagen«, meint Berndorf, bedankt sich und gießt sich ein. »Er hat mir einiges erzählt, die Version Zlatan Zwo, wenn Sie so wollen. Ein junger Mann, ohne rechten
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