Schlangenkopf
unterschätzt.«
»Ach ja?«, kommt es aus dem Telefon.
»Doch, bestimmt ist das so«, antwortet Dingeldey. »Eine gewisse Olga Modrack, Untersuchungsgefangene in Rostock, hat heute einem der beiden Beamten, die sie einvernehmen wollten, die Pistole abgenommen und das Weite gesucht. Glückwunsch! Derartiges hätte ich nun wirklich nicht für möglich gehalten.«
»Wenn Sie meinen – nur verstehe ich nicht ganz, warum Sie mir diese Geschichte vortragen …«
»Um Ihnen einen Kompliment zu machen«, antwortet Dingeldey, »ich sagte es doch bereits! Ich nehme an, die beiden Vernehmungsbeamten sind Bedienstete Ihres Auftraggebers, mein Kompliment gilt deshalb auch diesen beiden Herren. Sich in einer Tiefgaragentoilette mit den eigenen Handschellen an die Heizungsrohre fesseln zu lassen – dazu gehört wahrhaft preußisches Pflichtbewusstsein. Sind Sie noch da?«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar«, sagt die schleppende, etwas heisere Stimme, »wenn Sie zum Punkt kommen wollten.«
»Ziehen Sie Olga Modrack umgehend wieder aus dem Verkehr.«
»Ich fürchte, Sie irren sich schon wieder. Diesmal überschätzen Sie die Potenziale – meine und die meines Auftraggebers.«
»Das ist mir egal«, antwortet Dingeldey. »Ziehen Sie die Dame aus dem Verkehr, stoppen Sie sie, rufen Sie sie zurück – wie auch immer. Denn für alles, was diese Olga noch anrichtet, wird Ihr Auftraggeber verantwortlich sein und verantwortlich gemacht werden, ich schwöre es Ihnen!«
»Schon wieder überschätzen Sie etwas, mein Lieber, und zwar sich selbst«, sagt die Stimme und klingt auf einmal fast heiter. »Meine Empfehlung an die Dame!« Und dann bricht das Gespräch auch schon ab.
»Was für ein Arsch!«, sagt Dingeldey. »Ich frage mich …«
Barbara blickt ihn fragend an.
»Ich frage mich, ob er weiß oder ahnt, dass wir über die Personalie Kirstejn Bescheid wissen. Der Brief an den Internationalen Gerichtshof ist übrigens heute rausgegangen. Zu schade, dass dieser Zlatan …« Er macht eine Handbewegung, als sei etwas fortgeflogen.
»Wird der Gerichtshof deiner Information dann überhaupt nachgehen?«, will Barbara wissen.
»Er sollte es«, antwortet Dingeldey, »Jedenfalls dann, wenn er an dem Fall ernsthaft interessiert ist. Ich nehme an, er wird die Schweizer Behörden um Amtshilfe bitten. Und dann wird man ja sehen …«
»Was wird man dann sehen?«
»Wer dieser Kirstejn ist. Lebenslauf, Herkunft, biometrische Daten. Woher er seinen Pass hat. Das alles kann man erheben. Und mit den Daten vergleichen, die aus Kroatien übermittelt werden. Kroatien will in die Europäische Union und muss kooperieren. Und schließlich wird man ihn den Leuten gegenüberstellen, die den General Mesic gekannt haben.«
»Diese Olga hat man auch irgendwelchen Leuten gegenübergestellt«, bemerkt Barbara, »und was ist passiert!«
»Das lässt vielleicht die Polizei in Meck-Pomm mit sich machen, aber kaum der Internationale Gerichtshof«, antwortet Dingeldey. Dann tippt er auf das Notebook, das noch immer auf dem Schreibtisch vor ihm liegt. »Zurück zu deinem Fundstück! Ich soll es mir also ansehen? Und bis wann? Und ist das Material überhaupt zugänglich, oder gibt es ein Passwort?«
»Da muss wohl ein Zettel herumgelegen haben, mit der Notiz N Y Sechzehn Siebenundzwanzig«, antwortet Barbara. »Meinst du, dass du dir bis morgen einen Überblick verschafft hast?«
»Ich weiß nicht, ob ich dir das versprechen kann. Hast du eine Vorstellung davon, wie umfangreich das Material ist?«
Barbara überlegt. Wie hat André es formuliert, als sie beim Nachtisch – einem gemischten Eis – darüber sprachen?
Der Bilch glaubt, dass da ein Politiker aufgeschrieben hat, wer alles Geld bekommen hat, also solches Geld, was gestohlen war …
»Kann sein, dass da ziemlich viel zusammengekommen ist«, sagt sie laut. »Ruf mich an, wenn du einen ersten Eindruck hast.«
A lso, dass John Wayne dem Rechtsanwalt das Leben retten muss, und der spannt ihm dafür die Frau aus, das hab ich immer ungerecht gefunden«, meint Barbara, die sich mit angezogenen Beinen in eine Ecke der Couch geräkelt hat, ein Glas Whisky in der Hand. »Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass es immer nur auf den Schein ankommt, nicht auf das, was dahintersteckt. Die Wahrheit ist nicht wichtig. Darum ist James Stewart, also der Rechtsanwalt Stoddard, auch Politiker geworden.«
»Aber vielleicht gibt es die Wahrheit gar nicht«, wendet André ein, der in der anderen Ecke der Couch
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